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Ferdinand von Schirach - Glauben

Inhalt

Bei der Untersuchung eines Mädchens diagnostiziert ein Kinderarzt in der westdeutschen Kleinstadt Ottern "chronischen sexuellen Missbrauch" und bringt damit Ereignisse ins Rollen, die zu einem Justizskandal von verheerendem Ausmaß führen.

Der Otterner Staatsanwalt Cordelis erhebt Anklage gegen 25 Bewohner der Kleinstadt. Die Männer und Frauen werden beschuldigt, einen Kinderpornografie-Ring betrieben zu haben. Der Fall erregt landesweite Aufmerksamkeit, in den Sozialen Medien werden bereits Forderungen nach der "Todesstrafe für Kinderschänder" laut.

Die Verteidigung des Hauptangeklagten übernimmt der spielsüchtige Berliner Strafverteidiger Schlesinger. Der Auftrag erreicht ihn über Azra, eine Geldeintreiberin und "Problemlöserin" der chinesischen Mafia. Widerwillig übernimmt Schlesinger das Mandat, Azra begleitet ihn nach Ottern.

Was seinen Mandanten besonders belastet: mehrere Kinder beschreiben übereinstimmend ein Wandbild am Kellereingang der Kneipe, in der der Missbrauch stattgefunden haben soll. Doch so eindeutig der Fall in den Medien dargestellt wird – für Schlesinger ist schnell klar, dass hier etwas nicht stimmt. Die Anklage stützt sich auf über 300 Interviews, die Ina Reuth, engagierte Mitarbeiterin eines Kinderschutzvereins, mit mutmaßlich betroffenen Kindern führte. Die Ermittlungen durch die Polizei hingegen blieben ergebnislos.

Die Stimmung in der Stadt, in den Medien und im Gerichtssaal ist aufs Äußerste gespannt, doch Schlesinger weigert sich dem öffentlichen Druck nachzugeben. Den entscheidenden Hinweis liefert Azra, und so werden ein abgehalfterter Strafverteidiger und eine Geldeintreiberin schließlich zu Verteidigern des Rechtsstaats.

Alle sieben Folgen stehen hier als Preview zum Abruf bereit.

Hintergrund

Mit "Ferdinand von Schirach - Glauben" transportiert der Bestsellerautor ("Verbrechen", "Der Fall Collini") den Wormser Justizskandal aus den Jahren 1993 bis 1997 mit einer eigenen fiktiven Geschichte in die Gegenwart. Dieser Eklat umfasst drei Strafprozesse vor dem Landgericht Mainz in denen 25 Männer und Frauen aus der Umgebung Worms des massenhaften Kindesmissbrauchs angeklagt waren. Sie wurden beschuldigt, einen gemeinschaftlichen Pornoring betrieben zu haben, der Videos der Kinder fertigte und vertrieb. Nach zwei Jahren und sieben Monaten Untersuchungshaft, mit über 300 Verhandlungstagen, wurden 24 der Angeklagten freigesprochen, eine ältere Dame war in der Haft bereits zuvor verstorben. In der Urteilsbegründung verkündete der Richter unter anderem: "Den Wormser Massenmissbrauch hat es nie gegeben. Bei allen Angeklagten, für die ein langer Leidensweg zu Ende gegangen ist, haben wir uns zu entschuldigen."

Inspiriert durch den Wormser Justizskandal der neunziger Jahre wirft Ferdinand von Schirach ein Licht auf gesellschaftliche Entwicklungen unserer Zeit. Öffentliche Debatten verlagern sich zunehmend in das Internet und die Sozialen Medien – wo Empörung und Hass oft die Auseinandersetzung mit komplexen Themen verhindern. Berechtigte und nachvollziehbare Sorgen, wie die um das Wohl der Kinder, können in aufgeheizten Online-Debatten zu Vorverurteilungen, Pauschalisierungen und blankem Hass führen. In "Ferdinand von Schirach - Glauben" ist es ausgerechnet ein verschuldeter Anwalt, der der öffentlichen Hysterie die kritische Vernunft entgegensetzt.

Mit "Ferdinand von Schirach – Glauben" feiert der ehemalige Strafverteidiger und heutige Schriftsteller eine besondere Premiere. Zum ersten Mal verfasst er ein Drehbuch als alleiniger Autor. Die Produktion der Serie liegt bei MOOVIE, Produzent ist Jan Ehlert, Executive Producer ist Oliver Berben. Executive Producerin für RTL+ ist Brigitte Kohnert unter der Leitung von Hauke Bartel. Regie führt Daniel Prochaska. Das Justiz-Drama wurde vom Medienboard Berlin-Brandenburg und der Film- und Medienstiftung NRW gefördert.

Statement Ferdinand von Schirach

"Wir leben im Zeitalter der Empörung. Die Erregungskurve im Internet ist stets bei 100 Prozent. Jeder Mensch ist durch die sozialen Medien heute nicht nur ein Empfänger von Nachrichten, er kann auch ein sehr mächtiger Sender sein. Und was er sendet, unterliegt kaum einer Kontrolle.

Zwischen 1994 und 1997 fanden drei Strafprozesse vor dem Landgericht Mainz statt. 25 Männer und Frauen aus Worms und Umgebung wurden des massenhaften und teilweise gemeinschaftlichen Kindesmissbrauchs angeklagt. Sie sollen Videos gefertigt und vertrieben haben, es war die Rede von einem Pornoring. 16 Kinder, darunter Babys, sollen von ihnen zum Teil in Orgien missbraucht worden sein. Die Angeklagten saßen zwei Jahre und sieben Monate in Untersuchungshaft. Nach über 300 Verhandlungstagen wurden 24 der Angeklagten freigesprochen, eine ältere Dame war in der Untersuchungshaft bereits gestorben.

Der Richter des letzten Prozesses begann seine Urteilsbegründung so: 'Den Wormser Massenmissbrauch hat es nie gegeben. Bei allen Angeklagten, für die ein langer Leidensweg zu Ende geht, haben wir uns zu entschuldigen.' Dieser Richter hat später in der ‚Deutschen Richterzeitschrift‘ einen Aufsatz veröffentlicht. Er schrieb – für einen Richter sehr ungewöhnlich – er 'schäme' sich dafür, dass er nicht von Anfang an kritischer gewesen sei. Das Wesentliche dieser Verfahren war das Versagen aller gesellschaftlichen und rechtlichen Institutionen, der Presse und der Öffentlichkeit. Die allgemeine Empörung, der ungebremste Hass und die furchtbare Hysterie damals ist den heutigen gesellschaftlichen Zuständen sehr ähnlich. Es lag deshalb für mich nahe, aus den Wormser Missbrauchsprozessen eine Serie zu machen, die in der Gegenwart spielt und alle neuen Elemente aufnimmt, mit denen wir heute leben müssen.

In den Wormser Missbrauchsprozessen stellte sich ein einzelner Mann diesem Wahnsinn entgegen, ein damals noch junger forensischer Psychologe. In der Serie übernehmen diese Rolle ein heruntergekommener Strafverteidiger und eine brillante Kriminelle. Sie stellen die ganz aus der Mode gekommene kritische Vernunft der allgemeinen Empörung entgegen. Die beiden sind, wenn man so will, die letzten Anhänger der Aufklärung – und gleichzeitig sind sie von jedem missionarischen Eifer und jeder Gesinnungsethik entfernt.

'Glauben' ist ein Format über unsere Zeit, über die Welt, in der wir heute leben. Es erzählt die Geschichte eines allgemeinen Versagens der Gesellschaft. Ich bin sicher, dass es zu einer breiten Diskussion darüber führen wird, wer wir heute sein wollen."

Folge 1

In der Kleinstadt Ottern stellt Kinderarzt Dr. Liessen bei der Untersuchung eines Mädchens körperliche Spuren von Misshandlung fest. Als er einen Abstrich bei dem Kind nimmt, glaubt er darauf Spermaspuren zu erkennen. Seine Diagnose ist eindeutig: Das Mädchen wurde sexuell missbraucht.

Berlin. Strafverteidiger Dr. Schlesinger wird durch einen Anruf unsanft aus dem Schlaf gerissen. Der Anwalt gehörte einmal zu den besten Verteidigern der Stadt, inzwischen verbringt er die Nächte auf dem Sofa in seiner vermüllten Kanzlei, verspielt sein Geld in einem zwielichtigen Club und trinkt mehr als ihm guttut. Nun soll er einer Angeklagten in einem mutmaßlichen Mordfall als Pflichtverteidiger beistehen. Die Frau bestreitet vehement ihre Schuld, doch alles deutet darauf hin, dass sie ihren Mann erschossen hat, um die Prämie seiner Lebensversicherung zu kassieren.

Als Schlesinger von einer langen Nacht im Gericht zurückkehrt, erwartet ihn im Treppenhaus eine alte Bekannte: Azra. Die elegant gekleidete Frau arbeitet als Geldeintreiberin für die chinesische Mafia, Schlesinger hat sie vor Jahren in einem Prozess wegen Körperverletzung verteidigt. Inzwischen hat Schlesinger Spielschulden bei der Mafia angehäuft, die er nicht begleichen kann. Azra soll etwas nachhelfen. Sie schlägt den Anwalt im Treppenhaus nieder, er lässt es widerstandslos über sich ergehen. Als Schlesinger in seiner Kanzlei wieder zu sich kommt, hat Azra seine Verletzungen bereits mit Eis versorgt. Die beiden verbindet trotz allem eine Art von Freundschaft. Während Schlesinger bewusstlos war, hat sich Azra die Akten des mutmaßlichen Mordfalls angesehen und gibt einen wichtigen Hinweis, dessen Bedeutung Schlesinger jedoch nicht versteht.

Der verprügelte Schlesinger sieht ein, dass es so mit ihm nicht weitergehen kann. Am nächsten Tag verpfändet er seine Armbanduhr und bezahlt die Schulden bei den Chinesen. Dem freundschaftlichen Rat eines Richters folgend, er solle sich ein Haustier zulegen, kauft er einen Goldfisch. Er räumt seine verwahrloste Kanzlei auf und macht sich an die Arbeit, um die Verteidigung seiner Mandantin vorzubereiten.

Folge 2

Berlin. Im mutmaßlichen Mordfall tritt Schlesinger auf der Stelle: Er kann einfach nichts finden, das seine Mandantin entlastet. Azra hält ihn davon ab, wieder mit dem Spielen zu beginnen und verspricht Schlesinger ihre Hilfe, wenn er sie zum Essen einlädt. Im Restaurant zwingt sie Schlesinger nicht nur eine Auster zu essen, sondern auch von einem tragischen Fall zu erzählen, der schwer auf ihm lastet: Vor einigen Jahren gelang es Schlesinger, einen Mandanten vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren. Der Mann ging nach Hause, betrank sich und tötete seine zweijährige Tochter. Obwohl Schlesinger faktisch nichts falsch gemacht hat, fühlt er sich schuldig am Tod des Kindes und ist seitdem völlig aus der Bahn geworfen. Azra wiederholt den entscheidenden Tipp im Fall der Frau, die ihren Mann umgebracht haben soll: "Es ist die falsche Seite, Herr Anwalt."

Im Prozess gibt Schlesinger zunächst kein gutes Bild ab, er verschläft fast die gesamte Verhandlung gegen seine Mandantin, doch am Ende gelingt ihm – dank Azras Hinweis – der Coup: Seine Mandantin wird freigesprochen. Schlesingers Ruf ist wiederhergestellt, der Anwalt scheint sich endlich wieder gefangen zu haben.

Azra hat bereits Pläne für Schlesinger: Er soll das Mandat für einen Angeklagten in Ottern übernehmen. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt dort 26 Männer und Frauen, einen Kinderpornografie-Ring betrieben zu haben. Im Auftrag einer anonymen Klientin von Azra soll Schlesinger den Otterner Kneipenbesitzer Ernesto Perez verteidigen und dessen Entlassung aus der U-Haft erwirken. Doch Schlesinger erleidet einen Schlaganfall und kommt ins Krankenhaus.

In Ottern beobachtet Ina Reuth, Mitarbeiterin des Vereins "Räuberkinder", der sich gegen Kindesmissbrauch engagiert, ein kleines Mädchen beim Spielen und notiert scheinbare sexuelle Handlungen, die das Kind mit Puppen nachstellt. Sie übergibt dem verantwortlichen Staatsanwalt Cordelis über 300 Seiten ihrer Notizen und Befragungen von Kindern, die sie durchgeführt hat. Beide sind tief erschüttert vom Ausmaß der vermeintlichen Verbrechen. Zu viele Sexualstraftäter kommen ungeschoren davon – das werden Cordelis und Reuth in Ottern nicht zulassen.

Azras anonyme Klientin duldet derweil keinen Aufschub und so holt Azra den gesundheitlich angeschlagenen Schlesinger gegen seinen Willen aus dem Krankenhaus. Sie wird ihm bei der Verteidigung von Perez helfen.

Folge 3

Der Otterner Missbrauchsfall geht groß durch die Medien und der junge, ehrgeizige Staatsanwalt Cordelis erhebt in drei Prozessen Anklage gegen insgesamt 26 Beschuldigte. In einer Talkshow lässt er sich zu einer pauschalen Vorverurteilung der Angeklagten hinreißen, noch bevor ein einziges Urteil gesprochen ist. Schlesinger und Azra kommen im idyllischen Städtchen Ottern an und beziehen Zimmer im Hotel Goldener Hirsch in der mittelalterlichen Innenstadt – für Schlesinger gibt es ein unklimatisiertes kleines Zimmer ohne Schreibtisch, für Azra die Fürstensuite. Auch in Ottern scheint Azra ihr Ruf vorauszueilen, auch hier wird ihr überall eine bevorzugte Behandlung zuteil. Otterns Hotels sind ausgebucht, die Stadt ist voller Journalisten und Anwälte, das ganze Land blickt auf die Otterner Prozesse. Schlesinger unterhält sich mit einigen Kollegen im Hotel. Bisher hat in den knapp elfmonatigen Verhandlungen keiner einen Ansatzpunkt für die Verteidigung der Angeklagten im Missbrauchsprozess gefunden, dazu kommt, dass alle unter permanentem öffentlichen Druck stehen.

Schlesinger besucht seinen sichtlich mitgenommenen Mandanten Ernesto Perez in der Untersuchungshaft. Auch wenn es Perez seltsam vorkommt, dass eine Unbekannte einen Verteidiger für ihn bezahlt, akzeptiert er Schlesinger als seinen Anwalt. Es gibt in Ottern sonst niemanden, der ihn verteidigen würde.

Richterin Landsberg lädt die Prozessbeteiligten zu einem ersten Treffen in ihr Büro ein. Dort kommt es zur Konfrontation zwischen Cordelis und Schlesinger, der dem Staatsanwalt seinen unbedachten Auftritt im Fernsehen vorwirft. Landsberg befindet sich als Richterin in einer schwierigen Lage: Sie sieht es als selbstverständliche Aufgabe der Justiz an, Kinder vor Missbrauch zu schützen. Doch sollte die Anklage in sich zusammenfallen, droht aus dem größten Missbrauchsskandal der deutschen Geschichte der größte Justizskandal zu werden.

Neben den hunderten von Kinderaussagen, die Ina Reuth zusammengetragen hat, gibt es drei objektive Beweismittel, die die Staatsanwaltschaft gegen Perez ins Feld führt: Der Befund des Kinderarztes Dr. Liessen; ein Kamera-Objektiv, das im Keller von Perez‘ Kneipe gefunden wurde und zu einer Kamera gehören soll, mit der dort Orgien mit Kindern gefilmt wurden; und ein Wandbild am Eingang zum Keller, das die Kinder in den Verhören übereinstimmend beschrieben haben.

Azra und Schlesinger statten einem örtlichen Nachtclub einen Besuch ab. Nachdem die Türsteher Azra rassistisch und sexistisch beleidigen, wird Schlesinger erneut Zeuge von Azras diskret brutaler Arbeitsweise: Sie schlägt die Türsteher mit einem Hammer nieder und widmet sich anschließend dem Besitzer des Nachtclubs, der nebenbei ein illegales Bordell betreibt. Nach ihrer Befragung ist Azra sich sicher, es haben – zumindest in diesem Club – keine Orgien mit Kindern stattgefunden.

Folge 4

Eine der Angeklagten im Missbrauchsprozess, eine 76-jährige Frau, wird tot in ihrer Zelle im Untersuchungsgefängnis gefunden. Sie hat sich mit einer Strumpfhose erhängt. In den sozialen Medien wird der Suizid als Schuldeingeständnis der Frau gewertet.

Schlesinger hat einen Termin bei Kriminalhauptkommissarin Laubach. Die Polizistin führte die Ermittlungen im Missbrauchsfall, bis sie ihr von Staatsanwalt Cordelis aus der Hand genommen wurden. Schlesinger sieht sich das in den Prozessakten als "Kamera-Objektiv" aufgeführte Beweisstück gegen seinen Mandanten genauer an – es ist das einzige Beweisstück, das die Polizei in ihren monatelangen Ermittlungen sicherstellen konnte. Doch die Linse gehört offensichtlich zu einer Fotokamera, nicht wie die Bezeichnung in den Akten suggeriert, zu einer Videokamera. Was für Laubach eine kleine Ungenauigkeit ist, macht für Schlesingers Verteidigung einen bedeutenden Unterschied.

In einem Otterner Wirtshaus kommt Schlesinger mit Ina Reuth ins Gespräch. Sind wirklich alle Mittel recht, wenn es um den Schutz von Kindern geht? Ist es unmoralisch jemanden zu verteidigen, der abscheulicher Taten beschuldigt wird? Nach einer Diskussion über Recht und Moral gehen die beiden im Streit auseinander.

Schlesinger zeigt Azra ein Video aus den Prozessakten, in dem Ina Reuth einen kleinen Jungen befragt. Aus der Aufnahme wird deutlich, dass Ina Reuths Befragungen der Kinder suggestiv und ihre Schlussfolgerungen unseriös sind.

Bei der nächtlichen Durchsicht der Akten in seinem engen Hotelzimmer kommt Schlesinger eine entscheidende Idee.

Folge 5

Berlin, acht Monate später. Kurz vor Prozessbeginn gegen seinen Mandanten besucht Azra Schlesinger in seiner Kanzlei, um die Verteidigungsstrategie zu besprechen. Insbesondere der Gutachter, der die Kinderaussagen vor Gericht bewertet, macht Schlesinger Sorgen. Der Sachverständige hat keinerlei Erfahrung mit der psychologischen Begutachtung von Kindern, Ungereimtheiten und widersprüchliche Aussagen hat er in seinem Gutachten einfach ignoriert.

Als Schlesinger wenige Tage später in Ottern eintrifft, ist die Stimmung im Ort gespannt. In den sozialen Medien herrscht Empörung über den mutmaßlichen Missbrauchsfall, User fordern „Todesstrafe für Kinderschänder“. Nachts zerstören Unbekannte Azras Porsche, der vor dem Hotel zum Goldenen Hirschen parkt, und beschmieren das Auto mit dem Schriftzug "Ich verteidig Kinderschänder" – der Angriff galt offenbar Schlesinger.

Bevor das Verfahren gegen Perez eröffnet wird, besucht Schlesinger einen der Missbrauchsprozesse gegen die weiteren Angeklagten in Ottern und hört dort den psychologischen Gutachter. Der bekräftigt vor Gericht die Glaubwürdigkeit der Kinderaussagen.

Als eine Journalistin Schlesinger nach seiner Verteidigungsstrategie für Perez fragt, erzählt er ihr von einem Fehlurteil in einem historischen Gerichtsverfahren. Wegen des Rechenfehlers eines Gutachters wurde damals eine Frau fälschlicherweise wegen Mordes verurteilt. In Bezug auf Ottern heißt das für Schlesinger, dass Mehrheit nicht gleich Wahrheit ist. In der schieren Masse der Kinderaussagen sieht er noch keinen Beweis für deren Glaubwürdigkeit. So wird er argumentieren.

Azra und Schlesinger treffen sich an Perez‘ Kneipe. Die beiden stehen vor dem Wandbild, das die Kinder in ihren Aussagen beschrieben haben. Tatsächlich ist es von der Straße aus nicht einsehbar, die Kinder können es nicht im Vorbeifahren gesehen haben. Doch Azra hat wieder einen entscheidenden Tipp für Schlesinger.

Obwohl er in einem kritischen Verhältnis zur Kirche steht, richtet Schlesinger sich zum Arbeiten im Skriptorium eines Jesuitenklosters ein und kommt dort mit Pater Kappler ins Gespräch. Schlesinger glaubt nicht an die Sünde, die im Christentum eine so große Rolle spielt. Er glaubt an den Menschen.

Folge 6

Der Prozess gegen Perez beginnt. Gleich zu Beginn überrascht Schlesinger das Gericht und legt offen, dass der Kinderarzt Dr. Liessen farbenblind ist. Dessen Befunde über sexuellen Missbrauch an Kindern, die sich auch auf gerötete Hautstellen stützen, sind fragwürdig, da Liessen Hautrötungen gar nicht als solche erkennen kann. Darüber hinaus kommt ans Licht, dass das wichtigste Beweisstück im Prozess – der Abstrich des einzigen Kindes, an dem Liessen Spermaspuren erkannt haben will – niemals forensisch untersucht wurde. Die Probe war in der Praxis von Dr. Liessen versehentlich entsorgt worden. Damit ist auch dieser angebliche Beweis vor Gericht wertlos.

Als Schlesinger anschließend KHK Laubach vor Gericht befragt, kommt heraus, dass das Kamera-Objektiv, das bisher als objektiver Beweis für die Existenz eines Kinderpornografie-Rings galt, zur Fotokamera eines Polizeifotografen gehört. Der Polizei ist bei der Sicherung des Beweismittels schlichtweg ein Fehler unterlaufen.

Schließlich wird Ina Reuth in den Zeugenstand gerufen. Schlesinger überrascht das Gericht erneut: Die Kinder können das Wandbild am Kellereingang der Kneipe zwar nicht von der Straße aus gesehen haben – wohl aber von Ina Reuths Balkon. Ina Reuths Wohnung liegt dem Hintereingang von Perez‘ Kneipe direkt gegenüber.

Schlesinger kann noch weitere Unstimmigkeiten in den Aussagen der Kinder offenlegen, die weder von Reuth noch in dem Gutachten des Sachverständigen bemerkt wurden. Doch er hat den Prozess damit noch nicht gewonnen. Auch wenn es in den Kinderaussagen Unstimmigkeiten gibt, kann nach Ansicht von Richterin Landsberg nicht ausgeschlossen werden, dass der Kern der Aussagen – der Missbrauch selbst – dennoch wahr ist.

Nach Ende des Prozesstags nimmt Azra Schlesinger mit auf einen Hügel am Rande der Stadt, die beiden blicken auf das pittoreske Ottern. Azra fragt Schlesinger, ob er sich sicher sei, dass alle Angeklagten im Otterner Missbrauchsprozess unschuldig seien. Das ist er nicht. Aber: In einer rechtsstaatlichen Demokratie haben sie ein Recht auf Verteidigung.

Folge 7

Schlesinger bekommt eine anonyme SMS, deren Inhalt lediglich aus der Zahlenfolge "28, 42" besteht. Er vermutet KHK Laubach hinter der Nachricht. Mitten in der Nacht klopft er im Kloster den Pater aus dem Bett, um an seine Akten zu kommen. Gemeinsam entschlüsseln sie den Hinweis.

"28,42" bezieht sich auf die Befragung eines Kindes in den Prozessakten. Schlesinger kann nachweisen, dass Staatsanwalt Cordelis absichtlich das Transkript einer der Kinderaussagen aus den Akten entfernt hat. In der Befragung hatte das befragte Mädchen – verwirrt nach einer Reihe von suggestiven Fragen – den Staatsanwalt selbst des sexuellen Missbrauchs bezichtigt. So kann Schlesinger schließlich durchsetzen, dass die Kinderaussagen der erneuten Prüfung durch ein zweites Gutachten unterzogen werden.

Die neue Gutachterin, Prof. Brandenburg, bewertet die Aussagen der Kinder aufgrund der Befragungsmethoden als ungeeignet, um sie als Beweismittel im Prozess heranzuziehen. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft bricht dadurch endgültig zusammen. Das Gericht urteilt, dass es keine Beweise für einen Kinderpornografie-Ring in Ottern gibt, Perez wird freigesprochen.

Cordelis ist am Boden zerstört. In der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, dass einige der Kinder, deren Eltern in Untersuchungshaft waren, von dem Leiter eines Kinderheims tatsächlich missbraucht wurden. Diesmal gibt es Beweise und sogar ein Geständnis.

Zurück in Berlin entsorgt Schlesinger seinen toten Goldfisch und bekommt Besuch von Azra, die ihm mitteilt, ihre anonyme Klientin sei sehr zufrieden mit seiner Arbeit, Schlesingers Honorar ist überwiesen. Da erreicht den Anwalt ein Anruf aus Ottern: KHK Laubach berichtet ihm, dass Perez tot aufgefunden wurde. Erschlagen mit einem Hammer.

Cast

Peter Kurth / Rechtsanwalt Schlesinger

Narges Rashidi / Azra

Sebastian Urzendowsky / Staatsanwalt Cordelis

Katharina Marie Schubert / Kinderschützerin Ina Reuth

Désirée Nosbusch / Kommissarin Laubach

Julika Jenkins / Richterin Landsberg

Michael Pink / Angeklagter Ernesto Perez

Heiner Hardt / Richter Faller

Falk Rockstroh / Kinderarzt Dr. Liessen

SCHLESINGER, der Strafverteidiger

Früher war Schlesinger ein guter Anwalt gewesen. «Strafverteidigung», hatte er immer gesagt, «ist der Kampf Davids gegen Goliath.» Er hatte immer geglaubt, er stehe auf der richtigen Seite.                                                          Aus Ferdinand von Schirach, "Die falsche Seite"

Heute, Jahre später, ist Strafverteidiger Schlesinger in übler Verfassung. Er trinkt zu viel und verbringt die Nächte auf einem Sofa in seiner vermüllten Kanzlei. Sein Geld verspielt der Anwalt in einem chinesischen Spielsalon. Als er mit der Hilfe von Azra, einer Geldeintreiberin der Mafia, einen aussichtslos scheinenden Prozess gewinnt, schöpft er neue Kraft und will sein Leben ändern. Doch Azra hat andere Pläne für Schlesinger. Sie zwingt ihn einen der Hauptangeklagten im größten Missbrauchsprozess der deutschen Justizgeschichte zu verteidigen. Schlesinger beginnt sich intensiv mit dem Fall auseinanderzusetzen, stößt auf Ungereimtheiten und wird schließlich zum Verteidiger der Prinzipien unseres Rechtsstaats.

AZRA, die "Problemlöserin"

Die stets elegant gekleidete Frau arbeitet als Schuldeneintreiberin und "Problemlöserin" für die chinesische Mafia, bei der der Strafverteidiger Schlesinger sein Geld verspielt. Als Schlesinger wieder mal seine Spielschulden nicht bezahlen kann, taucht sie im Büro des Anwalts auf. Azra schlägt Schlesinger nieder und fotografiert ihn für ihre Auftraggeber. But that’s just business: Eigentlich mag sie den Anwalt und sie hilft ihm sogar. Dank eines Hinweises von Azra gewinnt Schlesinger einen aussichtslos scheinenden Fall, bei dem eine Frau des Mordes an ihrem Ehemann angeklagt ist. Und es ist auch Azra, die Schlesinger den Auftrag vermittelt, einen der Hauptangeklagten im Missbrauchsfall von Ottern zu verteidigen. Azra hat eine eigene Vergangenheit als Opfer sexuellen Missbrauchs. Im Fall von Ottern geht es ihr allerdings nicht um die Schuld oder Unschuld des Angeklagten. Sie verfolgt eine ganz eigene Agenda im Auftrag einer anonymen Klientin.

DR. LIESSEN, der Kinderarzt

Dr. Liessen betreibt eine Kinderarzt-Praxis in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Ottern. Als er bei der Untersuchung eines 6-jährigen Mädchens Rötungen im Genitalbereich feststellt, schlägt er Alarm. Seine Diagnose, es handle sich "jenseits sinnvollen medizinischen Zweifelns um einen Zustand nach chronischem sexuell penetrierendem Missbrauch", bringt einen Missbrauchsprozess von bisher unbekanntem Ausmaß ins Rollen. Doch der Kinderarzt verschweigt ein wichtiges Detail, das seine Diagnose in ein anderes Licht rückt.

REUTH, die Kinderschützerin

Ina Reuth arbeitet für den Kinderschutzverein "Räuberkinder". Ihre Mission ist die Aufklärung und Prävention rund um das Thema Kindesmissbrauch. Sie gibt Workshops für Erzieher, Lehrer und Ärzte und arbeitet mit Kindern und Familien zusammen. Als der Otterner Kinderarzt Dr. Liessen ihr seinen Befund mitteilt, ein Mädchen sei chronisch sexuell missbraucht worden, schreitet Ina Reuth entschlossen zur Tat. Sie befragt zunächst das Mädchen und dann immer mehr Kinder aus Ottern. Reuth will den Schwächsten eine Stimme geben – und dabei ist ihr jedes Mittel recht.

CORDELIS, der Staatsanwalt

Als Staatsanwalt Cordelis die Ermittlungen im Otterner Missbrauchsfall übernimmt, steht er noch am Anfang seiner Karriere. Er hat bereits sehr jung seine Staatsexamen abgelegt, ist durchsetzungsstark, idealistisch und ein wenig eitel. Cordelis ist überzeugt, das Richtige zu tun, als er Anklage gegen 26 Beschuldigte in Ottern erhebt. Da die polizeilichen Ermittlungen keine Ergebnisse liefern, arbeitet er immer enger mit Ina Reuth vom Kinderschutzverein "Räuberkinder" zusammen. Cordelis will Karriere machen und dabei etwas bewegen: In seinen Augen bleiben noch immer zu viele Fälle von Gewalt und Missbrauch in Deutschland ungeahndet. Die Strukturen der Justiz- und Ermittlungsbehörden haben sich als unbeweglich und dem Leid der Opfer solcher Verbrechen gegenüber als gleichgültig erwiesen. Getrieben von Idealismus und mangelnder Erfahrung legt Cordelis die Beweisaufnahme im Otterner Missbrauchsfall fast vollständig in die Hände von Ina Reuth.

LANDSBERG, die Vorsitzende Richterin

Die erfahrene Richterin sitzt dem Prozess gegen den Otterner Kneipenbesitzer Ernesto Perez vor, dem vorgeworfen wird, Teil eines Kinderporno-Rings zu sein. Aufgrund des starken öffentlichen Interesses an dem Fall befindet sich Landsberg – wie auch die Staatsanwaltschaft – unter großem Druck. Einerseits ist es ihr ein Anliegen, die Otterner Kinder zu schützen. Sie teilt die Sorge ihres jungen Kollegen Cordelis, dass Kindern, die von Missbrauch betroffen sind, viel zu oft nicht zugehört und ihren Leidensgeschichten vor Gericht kein Glauben geschenkt wird. Dennoch hat sie Zweifel: Sollte die Anklage in sich zusammenfallen, droht aus dem größten Missbrauchsskandal der deutschen Geschichte der größte Justizskandal zu werden.

LAUBACH, die Kommissarin

Kriminalhauptkommissarin Laubach stammt aus einer Polizistenfamilie. Wie schon ihr Großvater und ihr Vater ist sie in Ottern für die Ordnung und die Sicherheit der ca. 30.000 Einwohner zuständig, auch die Ermittlungen im vermeintlichen Missbrauchsfall lagen zunächst bei ihr. Laubach und ihre Kollegen stellten die Stadt auf den Kopf, konfiszierten Laptops und Handys, überprüften SMS, Emails und Fotos. Ohne Ergebnis. Bei keinem der Angeklagten fanden sich Hinweise auf eine pädophile Neigung, geschweige denn auf den Handel mit Kinderpornografie. Laubach blickt mit großer Skepsis auf die Missbrauchsprozesse. Dabei übersieht sie, dass die Polizei selbst durch eine falsche Beweisaufnahme die Legende vom Otterner Kinderpornografie-Ring stützt.

PEREZ, der Angeklagte

Der Otterner Kneipenbesitzer Ernesto Perez ist angeklagt, die Kellerräume seiner Bar für pädophile Orgien zur Verfügung gestellt zu haben. Vehement beteuert er seine Unschuld, doch es gibt Indizien, die gegen ihn sprechen: Mehrere der von Ina Reuth befragten Kinder beschreiben detailgenau ein Wandbild, das sich neben dem Zugang zu den besagten Kellerräumen befindet. Das Bild ist von der Straße aus nicht einsehbar, die Kinder können es also nicht im Vorbeifahren gesehen haben. Azra vermittelt Schlesinger den Auftrag, Perez zu verteidigen. Das Honorar des Anwalts übernimmt eine anonyme "Klientin" von Azra, die ihn unbedingt aus der U-Haft entlassen sehen möchte. Was zunächst wie ein großer Gefallen erscheint, wird Perez zum Verhängnis.

Narges Rashidi ("Azra")

…über ihre erste Reaktion auf die Drehbücher:
"Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, die Drehbücher übers Wochenende zu lesen. Samstagnachmittag habe ich angefangen, konnte dann aber nicht mehr aufhören und habe tatsächlich alle sieben Bücher bis Mitternacht durchgelesen. Die Bücher waren so spannend geschrieben, einfach ein richtiger Pageturner."

…über ihre Rolle "Azra":
"Ich spiele Azra. Sie ist Geldeintreiberin, arbeitet oft für die Mafia und erledigt alles, was erledigt werden muss auch wenn sie dabei töten muss. Azra hat eine sehr dunkle Vergangenheit und im tiefen Kern ist sie ein wahnsinnig verletzter Mensch."

…über den Grund für das große Unrecht in "GLAUBEN":
"Gut gemeint ist nicht immer gleichzusetzen mit gut. Die Leute handeln alle nach ihrem besten Wissen beziehungsweise Gewissen und wollen auch nichts Böses. Trotzdem verrennen sie sich so sehr in ihren eigenen Gedanken und in dem was sie denken, was wahr ist. Sie sind so verstrickt in ihren Glauben, dass sie keinen klaren Kopf mehr haben."

…über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen "Azra" und "Schlesinger":
"Sie sind beide Beobachter und urteilen nicht direkt, sondern gucken sich alles sehr genau an und versuchen rauszufinden, was wirklich passiert ist, ohne es gleich zu verurteilen und eine Meinung zu haben. Deshalb sind sie in unserer Geschichte die Stimme der Vernunft. Auch sind beide Profis in dem was sie tun. Sie sind Anti-Helden, also verlorene Seelen. Sie trennt, dass sie unterschiedlich sozialisiert wurden. Sie haben beide eine Tiefe und einen Schmerz, aber unterschiedlichen Ursprungs. Trotzdem treffen sie aufeinander in unserer Geschichte, mögen sich auf ihre Art und gehen den Weg zusammen."

…über den Einfluss der Sozialen Medien:
"Soziale Medien sind ja vergleichsweise neu für uns. Deshalb glaube ich, haben sie sehr viel Potential und definitiv eine positive Seite. Beispielweise bei den Bewegungen 'Me too' und 'Time´s Up' hat man es einfach viel schneller mitbekommen, was draußen in der Welt los ist. Auch der Tod von George Floyd und die Bewegung 'Black Lives Matter'. Das ist natürlich gut, weil es Wellen geschlagen hat. Die negative Seite ist, dass dann auch radikale Gruppen die Möglichkeit bekommen 'Fake News' zu verbreiten und Verschwörungstheoretiker haben natürlich auch eine Plattform. Wie man da eine Balance gewinnt und es besser kontrollieren kann, dass nicht so viele Unwahrheiten gestreut werden, müssen die jeweiligen Plattformen, aber auch jeder einzelne Nutzer, noch in den Griff bekommen. Grundsätzlich sehe ich Soziale Medien aber positiv."

…über Herausforderungen bei den Dreharbeiten:
"Besondere Herausforderungen gab es beim Anlegen meiner Figur Azra. GLAUBEN spielt in der heutigen Zeit und wird auf der einen Seite sehr real erzählt, also ein Justizdrama. Dann kommt aber Azra daher, eine Mafia-Killerin, die in ihrer geheimnisvollen Art, wie aus einem Film 'Noir' oder einem Superhelden-Film herausgerissen wirkt. Herr von Schirach lässt also mehrere Genres ineinanderfließen, da als Figur nicht rauszufallen und Azra selbstverständlich in das Justizdrama einzuflechten war ein schmaler Grat und deshalb herausfordernd."

…über die Arbeit mit Peter Kurth:
"Die Zusammenarbeit mit Peter Kurth war ein Traum. Unabhängig davon, dass Peter ein großartiger Schauspieler und fast ein deutsches Kulturgut ist, ist er ein unfassbar toller Kollege, sehr herzlich und wahnsinnig witzig. Meinem Mann habe ich gesagt, dass ich glaube, heimlich in Peter verliebt zu sein."

…darüber, worauf sich die Zuschauer bei GLAUBEN besonders freuen dürfen:
"Die Zuschauer dürfen sich auf eine unfassbar gut von Daniel Prochaska inszenierte Geschichte freuen, die Ferdinand von Schirach sehr spannend erzählt und trotz der schweren Thematik immer wieder mit Situationskomik bricht. Auch sind es die ersten Drehbücher von Ferdinand von Schirach, die er selbst geschrieben hat. Ich glaube, es ist etwas sehr Außergewöhnliches entstanden. Eine Geschichte, die man in der Form noch nicht gesehen hat."

Peter Kurth ("Richard Schlesinger")

…über seine Rolle Richard Schlesinger:
"Richard Schlesinger ist eine sehr gute und reiche Figur. Er ist ein reifer Mann, der in einer absoluten Sinnkrise steckt und mit seinem Beruf und seinem Leben hadert. Der Beruf des Strafverteidigers ist ein bemerkenswerter Beruf. Was das bedeutet, können sich die meisten Leute gar nicht vorstellen. Natürlich hat man eine gewisse Vorstellung davon, aber wie speziell das wird und in welche Felder er sich begeben muss, um herauszufinden, von welchen Seiten die Anfeindungen kommen – davon wird man doch überrascht. Ebenso stellt sich die ewige Frage, ob die Anfeindungen zu recht kommen oder ob diese unrecht sind."

…über die Aufgabe eines Strafverteidigers:
"Es geht natürlich um die Frage, wen man schützen sollte beziehungsweise: Wem wird mehr Schutz gegeben, den Opfern oder den Tätern. In unserer demokratischen Gesellschaft braucht es eine Position, wie die des Strafverteidigers, der sich darum kümmert, dessen Aufgabe es ist zu zeigen, was wirklich passiert. Egal, ob es jetzt um Missbrauch, Mord oder kleinere Delikte geht. Das ist Teil unserer Demokratie, das muss sie leisten. Meine Rolle als Schlesinger ist es, nicht zu urteilen, das ist nicht seine Arbeit. Sondern seine Aufgabe ist es zu verteidigen, denn nur dann gibt es ein Gleichgewicht in unserem Rechtssystem. Wenn das wegfällt, dann fällt man in ein totalitäres System zurück. Wir sollten nicht nur vom Dritten Reich ausgehen, es gibt im Moment genügend totalitäre Systeme auf der ganzen Welt, in denen vorgegeben wird, was zu bestrafen ist. Da kann sich dann ein Verteidiger hinsetzen, erreichen tut er aber gar nichts. Wenn wir in einer Demokratie leben wollen, dann müssen wir aushalten, dass jemand, der an unser wichtigstes Gut geht, bestraft, aber auch eben verteidigt wird."

…über seine persönliche Meinung zur Figur des Strafverteidigers "Schlesinger":
"Wir leben in einer Demokratie, in der der Beruf des Strafverteidigers ein fester Bestandteil unseres Rechtssystems ist. Es gibt aber Fälle, wo es persönliche Grenzen geben kann und das eigene Verständnis aufhört, jemanden verteidigen zu können, wie zum Beispiel in unserer Serie, der Missbrauch von Kindern. Dieser innere Konflikt ist aber auch ein unglaublich interessanter Ansatz für eine Figur. Ich bin ein großer Fan von Ferdinand von Schirach und habe alle seine Bücher gelesen. Eines seiner Grundthemen ist, wie sich unser Rechtssystem in der heutigen Zeit bewegt, welche Kapriolen kann es schlagen, welche Fehler werden dort gemacht, welche Fragen müssen wir uns stellen."

…über die Figur "Azra" und die Arbeit mit Narges Rashidi:
"In der Geschichte von Ferdinand von Schirach war 'Azra' zuvor Yasser, bis es die Idee gab, eine Frau daraus zu machen. Ich habe erstmal skeptisch reagiert. Mittlerweile bin ich froh, da die Schnittstelle größer geworden ist und wir zeitgemäßer erzählen. Das hat mir gefallen, genauso wie die Idee, dass eine Frau diesen Weg nimmt. Es ist nicht dieses männliche Kumpelverhältnis und das macht die Geschichte reicher. Es geht auch nicht um sexuelle Anziehung, sondern um Anziehung im generellen. Man kann viel feiner arbeiten. Ich bin sehr froh Narges kennengelernt und getroffen zu haben. Wir ergänzen uns sehr gut, da wir grundverschieden in Gedanken und Äußerung sind. Unsere Rollen sind Antipoden, die aber einen ähnlichen Blick auf die Welt haben, insbesondere was Gerechtigkeit und Bestrafung angeht."

…über eigene Erfahrungen mit Hass in sozialen Netzwerken:
"Ich glaube, die Gefahr ist, dass die kommenden Generationen damit aufwachsen und dort ihre Orientierung suchen, die ich mir beispielsweise noch woanders gesucht habe. Diese Orientierungssuche, macht die sozialen Medien richtig gefährlich. Man wird einfach unbewusst gesteuert und manipuliert."

Sebastian Urzendowsky ("Cordelis")

…über die mediale "Empörungskultur" und eigene Erfahrungen mit Hass im Netz:
"Ich finde die Serie packend und sehr relevant, da die Themen mediale Empörung und Vorverurteilung sehr präsent sind. Es wird auch unabhängig von dem Fall, der jetzt schon etwas zurück liegt, darüber diskutiert, was Echokammern und Filterblasen betrifft, in denen man sich bewegt. Ich finde, das haut genau in die Kerbe unserer aktuellen Debattenkultur und zeigt deren mögliche Gefahren. Zum Glück habe ich selbst bis jetzt noch keinen Shitstorm erfahren, ich kenne aber genug Kollegen, die für einzelne Äußerungen online eine völlig überzogen, empörte Reaktion auf sich gezogen haben. Eine andere junge Kollegin hatte einen sehr unangenehmen Stalker mit Hasskommentaren bis hin zu Morddrohungen. Sowas ist gerade allseits präsent. Ich habe auch teilweise angefangen Sachen zu beantworten, da ich sie nicht unwidersprochen lassen wollte, da völlig abstruse Lügen in Kommentaren verbreitet wurden, bei denen ich gedacht habe, dass man ihnen widersprechen muss oder sie ab einem gewissen Punkt der Plattform melden."

…über die Handlung der Serie:
"Die Serie greift einen vermeintlichen Missbrauchsfall auf, der in Worms stattgefunden haben soll und sich dann als größter Justizskandal der jüngeren Geschichte der BRD entpuppt hat. Es wurden fälschlicherweise, verursacht durch eine Empörungskultur, Leute zu Unrecht angeklagt und über Jahre in Untersuchungshaft gehalten, bis sich herausgestellt hat, dass die Vorwürfe des Kindesmissbrauchs gar nicht haltbar waren. In der Serie gibt es einen jungen, überambitionierten Staatsanwalt, der das mitträgt und sich letztendlich auch mitschuldig macht."

…über seine Rolle "Staatsanwalt Cordelis":
"Cordelis hat die doppelte Mission Karriere und Fall. Er glaubt, dass sich das gut überlagert und er etwas Gutes tun kann. Damit wäre dann beiden Seiten geholfen und er kann die Karriereleiter hochklettern. Bei genauerer Prüfung der Akten, was dann erst der erfahrene Verteidiger Schlesinger macht, müsste er aber entdecken, dass die Anklage auf sehr tönernen Füßen steht. Ich glaube aber, dass er nicht nur von seiner Karriere geleitet wird, sondern dass da noch eine Haltung hinter steht, die Recht für die Kinder sicherstellen will. Da denkt er auch auf jeden Fall dran, sonst würde er am Ende nicht so sehr darunter leiden, was er zu verantworten hat."

…über die Frage: Woran glaubt "Cordelis":
"Er glaubt lange, das Richtige zu tun. Die vorgeworfenen Taten sind so grausam, dass man vermeintlich an Gut und Böse glauben kann in diesem Prozess. Da bringt sich dann zum Glück die Figur von Schlesinger ein und sagt, dass es kein Gut oder Böse gibt, da müsste man einfach mal genauer hingucken. Wer Gutes zu tun glaubt, kann trotzdem auch Böses damit anrichten. Das heißt, dass gute Absichten nicht zwangsläufig gute Taten schaffen und das hat Cordelis nicht verstanden. In seinem Fall sind sie sogar verheerend."

…über die Bedeutung des Rechtsstaats:
"Die Justiz muss rational und sachlich bleiben und das widerspricht komplett einer emotionalen Debatte, die nur auf das Gefühl anspringt und mit Recht und Moral gleichgesetzt wird. Das ist ein komisches Dreieck aus Gefühl, Recht und Moral, das einfach nicht funktioniert. Es muss rein beim Recht bleiben und dafür hat man eine unabhängige Justiz, die immer einen Schritt zurück macht, und mit Abstand auf die Dinge schaut, damit wir nicht eine Form von Selbstjustiz haben, die dem Instinkt und dem Gefühl folgt."

Katharina Maria Schubert ("Ina Reuth")

…über ihre Rolle "Ina Reuth":
"Meine Figur arbeitet bei einem Kinderschutzbund und kommt in Berührung mit Aussagen von Kindern, die nicht ganz eindeutig sind. Sie vermutet einen Missbrauch und ihre Aufmerksamkeit richtet sich ab da auf alle noch so kleinen Unstimmigkeiten. Sie glaubt etwas aufzudecken und beginnt zu recherchieren. Sie ist erschreckt und empfindet Empathie für die betroffenen Kinder. Der Schuldige soll verurteilt werden und deshalb möchte sie diesen Fall unbedingt zur Anklage bringen. Dies wird sowohl zu ihrer Mission als auch Passion."

…über den Grund für das große Unrecht in GLAUBEN:
"Gesetze regeln das friedliche Zusammenleben von Menschen. Aber natürlich ist auch die Justiz nicht in der Lage Ungerechtigkeit zu verhindern. Gerade bei so hochemotionalen Fällen kann es, z.B. durch öffentliche Vorverurteilung, dazu kommen, dass Fehler passieren. Genau das macht es so wahrhaftig und interessant, da die Serie und die Bücher keine einzelne Person als Schuldigen anbieten. Man ist selbst aufgefordert sich in diesem Durcheinander aus Befindlichkeit, Gesetz, Recht und Ordnung zu positionieren. Am Ende sollte man idealerweise auch das eigene Denken und Handeln hinterfragen."

…über "Ina Reuths" Dilemma:
"Wenn Ina Reuth Recht hat, ist sie eine Heldin und hat für sehr viel Gutes gesorgt. Wenn sie aber Unrecht hat, ist sie eine üble Verleumderin und hat den Kindern einen Bärendienst erwiesen. Genau das ist die Gefahr und es stellt sich die Frage, wann unterlässt man beziehungsweise wann unternimmt man was. Ina Reuth hat etwas unternommen, ihr reichen die Beweise. Das ist sozusagen die 50/50 Chance vor der sie steht. Sie entschließt sich für das Handeln."

…über die mediale "Empörungskultur" und eigene Erfahrungen mit Hass im Netz:
"Ich persönlich benutze die sozialen Medien wenig. Ich bin noch nie mit einem Shitstorm in Berührung gekommen. Aber trotzdem empfinde ich, genau wie das auch in der Serie gezeigt wird, dass diese Empörungskultur natürlich durch soziale Medien befeuert und sicherlich auch hervorgebracht wird. Wenn man sich über irgendjemanden aufregt, kann man das twittern und man wird wahrscheinlich einen Tweet kriegen, der die geäußerte Meinung entweder unterstützt oder einen beschimpft- beides führt nicht dazu, dass man sich beruhigen kann, im Gegenteil: Die Emotionen werden immer mehr. Diese absolut irrationale Emotionalisierung von allem, gegen jedes Argument das eigene Gefühl zu stellen und vor allem auf seinen Bauch hören zu wollen, erschöpft mich persönlich und ich lehne diese Kultur der alternativen Fakten ab. Das bedeutet nicht, dass man sich nicht über die wichtigen Themen aufregen soll. Wenn man sich aber über alles ständig aufregt, dann gibt es irgendwann gar keinen Unterschied mehr, zwischen großen und kleinen Problemen, großen und kleinen Ungerechtigkeiten, dann ist alles nur noch eine riesige Emotionsgeladene sinnlose Schreierei."

Daniel Prochaska (Regie)

…über seine Reaktion auf die Drehbücher:
"Als ich die Anfrage bekommen und gesehen habe, wer der Drehbuchautor ist, ist mir natürlich die Kinnlade runtergefallen weil Ferdinand von Schirach einer der größten Autoren Deutschlands ist. Ich habe mich wahnsinnig gefreut und das Drehbuch natürlich in einem Zug verschlungen. Danach habe ich erstmal recherchiert und erfahren, dass die Geschichte auf einem wahren Fall beruht."

…über besondere Herausforderungen der Dreharbeiten:
"Für mich waren die langen Szenen eine Herausforderung. Wir haben teilweise zehn Minuten Szenen im Gericht, die man aufgrund des Inhaltes und des Spiels nicht aufteilen konnte. Das Ganze zu stemmen, war für uns schon eine große Herausforderung. Mich hat es auch sehr beeindruckt mit Peter Kurth und Narges Rashidi zu drehen. Peter Kurth ist einer der größten Schauspieler Deutschlands und es war sehr beeindruckend, wie er neun Minuten Texte ohne Versprecher runtersprechen konnte. Darüber hinaus war das Thema bereits herausfordernd. Die richtige Balance zwischen Tragik-Drama und Humor musste gefunden werden."

…über den Einfluss der sozialen Medien:
"Ich wollte die Serie machen, da Social Media eine große Rolle in der Geschichte spielt. Ich stelle mir oft die Frage, wie schnell man selbst zum Ankläger wird. Man liest drei Posts auf Instagram, Facebook oder Twitter und denkt direkt die Wahrheit zu kennen. Die breite Masse lässt sich schnell beeinflussen – besonders was Hasspostings betrifft, sowas schlägt immer große Wellen. Mir persönlich macht das Angst, da die Mehrheit nicht zehn verschiedene Zeitungen liest, um herauszufinden, wo der Kern der Wahrheit liegt. Eine bekannte Person postet etwas, die nächste Person teilt es und irgendwann ist es wie die stille Post und in der Aussage steckt nicht mehr viel Wahrheit. Ich beobachte das mit sehr viel Vorsicht, weil der Dialog zwischen den Menschen heutzutage nicht mehr stattfindet. Das ist ein wichtiger Aspekt der Serie, denn die Leute sollten sich hinterfragen, ob sie sich nicht direkt eine Meinung bilden und besser mal prüfen, ob es der Wahrheit entspricht. Social Media wird man nicht mehr stoppen können, da es mittlerweile ein Teil von uns ist. Ich nutze Instagram, Facebook und Co. auch, man muss nur schauen, wie man es einsetzt. Diese Serie ist eine Chance, ein paar Leute zum Nachdenken und Hinterfragen ihrer eigenen Handlungen anzuregen."

Jan Ehlert (Produzent)

…über das Besondere an der Serie:
"Ich fand die Idee, ein fiktionales Format zu diesem tatsächlichen Phänomen zu machen, besonders interessant. Eine Serie mit fiktionalen und überhöhten Charakteren, aber gleichzeitig auch eine faktische Einordnung in Form von Interviews oder Podcasts vorzunehmen. In unserem Fall wird es so sein, dass es ein dokumentarisches Format mit dem Titel ‚Empörung‘ gibt, in dem die tatsächlichen Ereignisse um die Wormser Prozesse mit Akteuren aus den Wormser Prozessen aus dieser Zeit aufgearbeitet werden. Dabei wird die faktische Ebene mitgeliefert zu dem, was wir auf der fiktionalen Ebene für die Geschichte gemacht haben."

…über den Unterschied zwischen GLAUBEN und anderen Projekten mit Ferdinand von Schirach:
"Abgesehen davon, dass Ferdinand von Schirach nie zuvor gänzlich allein die Drehbücher zu einem Format geschrieben hat, ist der wesentliche Unterschied, dass es nicht nur eine Kurzgeschichte und auch keine Romangeschichte ist. Es ist ein besonderes Format und eine besondere Formatierung: Wir haben sieben Mal 30 Minuten, das ist eher ungewöhnlich, aber tatsächlich das, was sich in der Stoffentwicklung als folgerichtig angefühlt hat. Es ist eben eine fortlaufende Geschichte, die nicht einen möglichst kleinen, begrenzten Ausschnitt aus einem Schicksal einer Figur beispielhaft rauspickt, sondern ihren Ursprung in einer Kurzgeschichte hat, aber es geht weiter und wir folgen den Figuren. Diese Figuren haben einen Raum, den man ihnen so in einer Kurzgeschichte nicht geben kann und ziehen einen sehr mit sich, vielleicht auch über die Serie hinaus."

…über Peter Kurth als "Schlesinger":
"In der Kurzgeschichte ist Schlesinger anders beschrieben als Peter Kurth auf den ersten Blick aussieht. Trotzdem hat sich das total aufgedrängt. Die Ernsthaftigkeit einer solchen aus der Zeit gefallenen Figur, die irgendwie verloren ist, aber auch irgendwie wahnsinnig gut in dem, was sie macht und sehr menschlich und klug ist, das verkörpert Peter Kurth schon sehr stark. Ich habe mir gedacht, dass wir es einfach probieren und ihm schicken müssen, das haben wir dann auch gemacht. Ich habe erwartet, dass er eine Zeit lang zum Lesen brauchen und Gesprächsbedarf haben wird. Doch zwei Tage nachdem wir die Drehbücher abgeschickt haben, klingelt mein Telefon. Die Nummer hatte ich nicht eingespeichert, darum wusste ich nicht, wer anruft. Ich bin dran gegangen, es war Peter Kurth und er fragte mich nur, wann wir anfangen zu drehen. Das sind seltene Momente, aber manchmal gibt es die. In meiner Erfahrung ist das ein Zeichen, dass man auf dem richtigen Weg ist."

…über Narges Rashidi als "Azra":
"Das Problem bei einer überhöhten Figur ist: Man neigt dazu, sie auch ein bisschen überhöht anlegen zu wollen. Narges Rashidi hat sofort verstanden, dass die Figur irgendwie an sich schon übernormal ist und das okay so ist. Die Figur ist schon so geschrieben und gibt das so her, da muss man dem Affen nicht noch Zucker geben, Azra verhält sich einfach so, wie sie sich verhält. Wenn man das akzeptiert hat, spielt man es anders und Narges Rashidi hat es von Anfang an so gespielt. Das hat uns alle komplett überzeugt und ich bin sehr glücklich, dass sie es geworden ist. Gerade die Paarung mit ihr und Peter Kurth in den Hauptrollen ist ein großes Geschenk, das ist eine absolute Traumbesetzung."

…über den Castingprozess:
"Das ist ja die erste Zusammenarbeit zwischen Moovie und RTL in dieser Art. Wir haben extrem viel Zeit und auch Gesprächszeit auf die Besetzung von GLAUBEN verwendet, weil alle Beteiligten den Anspruch hatten, das wirklich bis in die kleinsten Rollen so gut es geht zu besetzen. Es gab nie den Punkt, wo man gesagt hat, „'das ist nur ein Tag'“ oder „'lass uns gucken, es gibt verschiedene Möglichkeiten damit umzugehen'“. Wir haben immer jede einzelne Sprechrolle in der ganzen Serie diskutiert, handverlesen und mit allen Beteiligten mit größtmöglicher Genauigkeit immer wieder überprüft. Ich kann bei jeder Rolle, insbesondere bei den Hauptrollen neben Azra und Schlesinger, wie zum Beispiel bei Staatsanwalt Cordelis, bei der Besetzung von Ina Reuth aber auch bei allen anderen Rollen sagen, dass ich sehr glücklich darüber bin, dass wir uns die Zeit genommen und so tolle Leute gefunden haben."

…über die Besonderheiten der Rollen "Staatsanwalt Cordelis" und "Beschuldigter Perez":
"Beide Figuren sind auf den ersten Blick sehr komplex und wirken stark polarisierend. Der Anspruch bei GLAUBEN war nicht, eine antagonistische Struktur aufzubauen, wo man sofort weiß, das ist der Böse oder der kann nichts, sondern, dass man lauter Figuren hat, die eigentlich alle das richtige wollen. Der Beschuldigte, dem wahnsinnige Dinge vorgeworfen werden und der auch offensichtlich in irgendeiner Form Dreck am Stecken hat, ist natürlich auch eine Rolle, die jetzt nicht von vornerein positiv besetzt ist. Gerade da Leute zu finden, die das so konsequent annehmen, sich anziehen und das auch so spielen wie Sebastian Urzendowsky im Fall des ‚'Staatsanwalts Cordelis'‘. Auch die Verlorenheit, die Michael Pink einem Typen gibt, wo man davorsitzt und denkt, ich weiß nicht, was mit ihm ist und wieso er so distanziert gegenüber der Situation und gegenüber Schlesinger ist, der ja nur auftaucht, um ihn zu verteidigen. Das ist schwer zu verkörpern."

…über die Arbeit mit Regisseur Daniel Prochaska:
"Er ist ein sehr besonderer, frischer und visuell unglaublich starker Erzähler und ich konnte mir das im Zusammenhang, mit dem, was wir uns für GLAUBEN vorgenommen haben, sehr gut mit ihm vorstellen, obwohl wir uns gar nicht kannten. Nachdem wir angefangen haben über die Serie insgesamt ins Gespräch zu kommen, konnte ich es mir immer besser vorstellen, weil ich das Gefühl hatte, dass auch wenn wir an viele Sachen ganz anders rangehen, wir trotzdem das gleiche von so einer Serie wollen. Es macht mich sehr glücklich, dass wir bei seiner ersten Arbeit in Deutschland zusammenarbeiten konnten und für die Serie sind Daniel und sein vertrauter Kameramann Matthias Pötsch ein echter Glücksfall."

Ferdinand von Schirach (Drehbuchautor)

…über die Handlung der Serie:
"Die Serie beschäftigt sich tatsächlich nicht mit den Wormser Prozessen. Die Wormser Prozesse sind nur der Hintergrund und die Anregung."

…über die Wormser Prozesse in den 90er Jahren:
"Das ist bis heute der größte Justizskandal in der Bundesrepublik. Das Erschreckende war, dass es keine Korrektive mehr gab. Die Presse, die Justiz und die Menschen auf der Straße waren der festen Überzeugung, es habe ein vielfacher Kindesmissbrauch stattgefunden. Niemand schien mehr die Vorwürfe zurückhaltend und vorsichtig zu prüfen, jedermann war nur noch empört und wütend. Ich erinnere mich gut daran, wie ich von diesem Fall im SPIEGEL das erste Mal gelesen hatte. Wenn man das von außen und aus der Ferne betrachtete, dann hatte man das Gefühl, dass irgendetwas gar nicht stimmen kann. Wie soll es möglich sein, dass so viele Menschen aus einer einzigen Kleinstadt sich an Kindern vergangen haben? Jede kriminalistische Erfahrung sprach dagegen. Es ist dann tatsächlich so gewesen, dass erst ganz langsam wieder Vernunft eingekehrt ist und man sich wieder darauf besonnen hat, was Strafprozesse sind und wie sie geführt werden müssen, ruhig, distanziert, unemotional. Solche Prozesse wie in Worms fanden in vielen Ländern statt, fast zur gleichen Zeit - und alle endeten immer mit Freisprüchen."

…über den Unterschied zwischen dem Verfassen eines Romans und eines Drehbuchs:
"Schreiben ist ein einsames Geschäft. Der Schreibende macht alles mit sich selbst aus, erst wenn ein Buch in der dritten oder vierten Fassung ist, bekommt es jemand zu sehen. Sehr spät bekommt es der Lektor. Ein Roman oder eine Kurzgeschichtensammlung zu schreiben dauert, bei mir zumindest, sehr viel länger als ein Drehbuch zu schreiben. Ein Drehbuch lebt von Dialogen. Es ist herrlich: Sie schreiben einen Satz wie 'Halbdunkles Zimmer im Hotel' worauf der Regisseur alles einrichten muss. Bei einem Roman kann so ein Satz nicht ausreichen. Auf der anderen Seite ist es auch nicht einfach Dialoge über lange Strecken zu schreiben, das macht man im Roman nicht. Für mich ist beides interessant. Später lesen das Drehbuch viele Menschen, die andere Interessen haben. Bei diesen Drehbüchern wurde mir z.B. oft gesagt, dass es viel zu teuer sei, die vielen Autos oder die vielen Ortswechsel. Das fand ich lustig, denn daran habe ich natürlich überhaupt nicht gedacht, während ich schreibe." 

…darüber, wieso GLAUBEN in einer (fiktiven) Kleinstadt spielt:
"Die Kleinstadt, die der Regisseur und die Produktion ausgewählt haben, ist deshalb so gut geeignet, weil alles auf engen Raum passiert und dieser Raum durch die sozialen Medien enorm erweitert wird. Im Grunde genommen ist der enge Raum auch ein Abbild unserer Gesellschaft heute. Wir sind keine weitläufige Gesellschaft mehr, sondern relativ eng miteinander vernetzt."

…über den Grund, die "Wormser Prozesse" als Hintergrund für eine Handlung in der Gegenwart zu verwenden:
"Als die Wormser Prozesse spielten, war unsere Welt kleiner. Unsere Gesellschaft ist aggressiver geworden. Der Stammtisch, das vergessen wir immer, hatte eigentlich eine entlastende Funktion. Die Menschen sind dort abends hingegangen, haben ihr Bier getrunken, Salzbrezeln gegessen, sich aufgeregt, auf den Tisch gehauen - und sind dann ganz friedlich nach Hause gegangen, weil sie ihren Ärger los wurden. Das ist bei den Sozialen Medien ins Gegenteil verkehrt. Die Algorithmen, nach denen die Sozialen Medien programmiert sind, verstärken den Hass. Eine Serie über einen Prozess zu schreiben, der in den 90er Jahren spielt, erschien mir viel langweiliger, es wäre nur die Beschreibung eines historischen Ereignisses. Gleichzeitig zu dieser Serie entsteht auch die Dokumentation 'Empörung', die nochmals zeigt, wie sich diese Mechanismen, die wir in den Wormser Prozessen beobachten konnten, in der heutigen Zeit funktionieren und wieviel stärker und gefährlicher sie werden. Am Schluss, wenn man das ganz zu Ende denkt, sind sie eben auch in der Lage, den demokratisch verfassten Rechtsstaat zu gefährden. Wir brauchen uns das heutzutage nicht einmal theoretisch vorstellen – wir haben den 6. Januar in Amerika erlebt und gesehen, was passieren kann: Der Mob stürmt das Capitol und bringt uns alle in Gefahr."

…über die Besetzung in GLAUBEN:
"Das Außergewöhnliche ist, dass in dieser Serie, bis zu den kleinsten Nebendarstellern, jede Rolle wunderbar besetzt ist. Für mich ist es, genauso wie für jeden anderen Schriftsteller, die größte Freude, wenn man das, was man schreibt, so perfekt, auf der Leinwand, oder in diesem Fall im Fernsehen, sehen kann. Und von den beiden Hauptdarstellern bin ich schlicht begeistert. Beide sind große Schauspieler, als Team sind sie perfekt."

…darüber, warum ausgerechnet die Rollen von "Schlesinger" und "Azra" zur "Stimme der Vernunft" werden:
"Es geht nicht darum, welchen Beruf ein Mensch hat oder welche gesellschaftliche Stellung. Es kommt nur darauf an, wie er handelt. Ein Spielsüchtiger und eine Geldeintreiberin können vernünftige Menschen sein. Der Witz bei beiden ist, dass sie, aus ganz unterschiedlichen Gründen, keine Vorurteile haben. Sie nehmen die Menschen so, wie sie sind." 

…darüber wie sich die Figur Schlesinger als Nicht-Digital-Native im Fall von Otten zurechtfindet:
"Mir hat geholfen, dass ich auch nicht gerade ein Digital-Native bin. Schlesinger sehnt sich nach dem 20. Jahrhundert, er findet Telefonzellen, Kassetten und alte Autos angenehm. Die Zeit wird immer schneller und vieles wird angenehmer, aber Schnelligkeit ist nun einmal kein Freund der Vernunft. Schlesinger lebt von dem, was die Engländer common sense nennen, obwohl - oder gerade weil - er so zerstört ist und mit dem Leben nicht gut zurechtkommt. Die Tatsache, dass er nicht mit dem Handy umgehen kann, heißt nicht, dass er nicht klug ist. Er betrachtet das Leben anders, er sieht es mit spöttischer Distanz und tritt einen Schritt zurück - auch von sich selbst. Und Azra ist klug, weil sie alles schon gesehen hat. Ich hätte die Beiden gerne an meiner Seite, wenn ich in Schwierigkeiten komme." 

…über die Aufgabe des Strafverteidigers in unserem Rechtsstaat und wieso diese oft so schwer zu ertragen ist:
"Wir wollen einfache Lösungen, aber ein Strafverteidiger macht alles komplizierter. Wenn jeder empört ist, wird der gehasst, der sagt, dass es vielleicht doch etwas anders gewesen sein könnte. Aber anders kann der Rechtsstaat nicht funktionieren. In den Wormser Prozessen wurden zum Beispiel Taten angeklagt, die schlicht nicht stattgefunden haben konnten. Beispielsweise wurde die Vergewaltigung eines Kindes angeklagt, obwohl das Kind noch gar nicht geboren war. Die Staatsanwaltschaft hat das in der Anklage geschrieben, die Richter haben diese Anklage zugelassen. Erst die Verteidiger wiesen darauf hin, dass das nicht sein kann." 

…über die Figur Azra als Genre- Element in einer sonst von wahren Begebenheiten inspirierten Geschichte:
"Geschichten brauchen oft ein überzeichnetes Element. In Azra sammelt sich ein bisschen die Vorstellung von dem Genre, aber gleichzeitig macht sich Azra selbst immer über dieses Genre lustig. Sie ist die interessanteste Figur, auf der einen Seite fast wie eine Comic-Heldin, auf der anderen Seite verletzlich. Sie trägt ein Geheimnis und der Film entschlüsselt es. Und sie ist lebensnäher und klüger als Schlesinger." 

…über den Grund, warum Ina Reuth als Kinderschutzbeauftragte keine "Heldin" ist:
"Ina Reuth orientiert sich an einer echten Figur, die damals im Mittelpunkt der Prozesse stand. Diese Frau wollte das Gute, sie wollte die Kinder beschützen und die von ihr 'ermittelten' Täter bestrafen. Sie war, wenn man es höflich sagen will, aber von Ehrgeiz, Hass, Empörung und Selbstüberschätzung verblendet. Gut gemeint reicht eben nicht, besonders dann nicht, wenn man mit dem Schicksal von Menschen spielt. Auch ein Richter kennt Begriffe wie 'das Böse', oder 'das Gute' im Prozess nicht, er verurteilt zu einer Strafe, aber nicht zu Hölle und Verdammnis."

…über Chancen und Gefahren von sozialen Medien:
"Es ist etwas Schönes und Glückliches, wenn sich Menschen miteinander verbinden, wenn die Großmutter Kontakt zu ihren Enkeln in Australien hat, daran gibt es überhaupt nichts auszusetzen. Das Gefährliche ist, dass diese Geschäftsmodelle, die auf Ausforschung und Manipulation gegründet sind, eine Handvoll Firmen reicher als ganze Staaten gemacht haben. Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es eine solche Machtkonzentration. Das Problem ist, die Programmierung dieser sozialen Netzwerke. Ihre Algorithmen fördern den Hass, die Wut und Empörung, Menschen werden durch sie zerstört und die Staaten bieten ihnen keinen Einhalt. Das darf auf gar keinen Fall so weitergehen." 

…über die Gründe, wieso sich Menschen zu einem vorschnellen Urteil hinreißen lassen:
"Weil wir immer die einfachen Antworten bevorzugen. Aber es ist nicht nur das vorschnelle Urteil, das Schlimmere ist, dass dieses Urteil immer weiter fortwirkt. Denken Sie an den Fall Kachelmann: Ein unbescholtener Moderator hat offenbar, jedenfalls wenn man den Berichten der Zeitungen glauben darf, über viele Jahre hinweg zu einer Fülle von Frauen sexuelle Beziehungen. Das empfinden die meisten Menschen als unmoralisch. Und weil dieser Mann so unmoralisch gelebt hat, muss der Vorwurf natürlich stimmen, den eine der Frauen erhob, nämlich dass er sie vergewaltigt habe. Dass das ein Trugschluss ist, sollte eigentlich jedem vernünftigen Menschen klar sein. Aber selbst in dem Gerichtsverfahren war es furchtbar schwierig für ihn, obwohl die Frau wohl an vielen nachweisbaren Stellen gelogen hatte. Nach einem elend langen Prozess wurde er endlich freigesprochen - aber das Ergebnis ist, dass die Menschen immer noch glauben, irgendetwas wird da schon dran gewesen sein. Plutarch sagte schon vor 2000 Jahren: 'semper aliquid haeret' – 'etwas bleibt immer hängen'. Und er hatte leider recht damit."

Die Dokumentation zum Justiz-Drama "Ferdinand von Schirach – Glauben": "Empörung – Der Skandal von Worms"

Es war einer der größten Skandale in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte. Es war ein Prozess, der über dreieinhalb Jahre dauerte und Leben ruinierte, Familien zerstörte und Eltern ihre Kinder nahm. Es war aber auch ein Prozess, der Richtern, Staatsanwälten und Gutachtern noch heute keine Ruhe lässt. Ein Prozess, der auf unterschiedliche Art alle 25 Angeklagten und ihre Angehörigen zu Opfern machte. Die begleitende Doku zur Serie "Ferdinand von Schirach – Glauben" beleuchtet, wie sich öffentliche Empörung und Hetze zur Zeit der Wormser Prozesse in den 90er Jahren für die Betroffenen äußerte und welche zerstörerische Kraft öffentliche Empörung bis heute hat. Wie haben die Justizopfer diese schreckliche Zeit erlebt? Wie geht es ihnen heute? Was sagen Expert:innen zu diesem in der deutschen Geschichte einmaligen Justizskandal? Wie gehen die Menschen mit dem Trauma um? RTL+ hält die bewegend und zugleich spannend erzählte Dokumentation exklusiv ab dem 4.11. zum Streamen abrufbereit.

 

In "Empörung – Der Skandal von Worms" kommt ein damals von der Presse verleumdetes Justizopfer zu Wort, das aufgrund falscher Anschuldigungen sechs Monate in Untersuchungshaft musste. Außerdem treffen die Macher:innen zwei Betroffene, die damals Kinder waren und deren Leben sich durch die dreieinhalbjährigen Prozesse zwischen 1994 und 1997 dramatisch verändert hat. In der emotionalen Doku erleben die Zuschauer:innen, was es heißt, Zielscheibe öffentlicher Empörung zu sein und sich in seiner Heimatstadt nicht mehr zuhause zu fühlen.

Heike G. wurde damals fälschlicherweise als Kinderschänderin angeklagt und macht noch heute eine Traumatherapie. In der Doku macht sie sich mit dem Kamerateam auf die Reise zurück nach Worms zum "Ort ihrer Schande", wo sie sich bis heute so fühlt, als habe sie einen "Stempel auf der Stirn". Im Interview erzählt Heike G. exklusiv über die schlimmste Zeit ihres Lebens.

Die Doku zeigt: Wie fühlte es sich für einen Sechsjährigen an, als die eigenen, unschuldig angeklagten Eltern eingesperrt waren und er gesagt bekam: "Das sind böse Menschen"? 16 Kinder wurden im Verlauf der Prozesse aus ihren Familien genommen und befragt, 6- bis 8-Jährige wurden aufgefordert, vor Gericht gegen ihre eigenen Eltern auszusagen. Erst nach dreieinhalb Jahren erfolgte der Freispruch für alle Angeklagten.

Und das Unrecht und Leid ging noch viel weiter:

Eines der damaligen Kinder wurde in Folge der Trennung von seinen Eltern im Kinderheim tatsächlich jahrelang sexuell missbraucht. Mit dem Kamerateam geht die Betroffene zurück an die Wurzel dieser Erlebnisse und setzt sich mit diesem Missbrauchstrauma auseinander.

Neben den Betroffenen schildern namhafte Experten, die auch Teil der Prozesse waren, ihre Perspektive. Die Redakteur:innen sprechen mit dem Richter der Prozesse Worms II und III, Hans E. Lorenz, der eigentlich keine Interviews mehr zu diesem Thema gibt und eigens für diese Dokumentation eine Ausnahme gemacht hat. Richter H. E. Lorenz entschuldigte sich nach dem Freispruch damals ausdrücklich bei den Angeklagten – ein seltener Vorgang in der Geschichte der deutschen Justiz. Im Gespräch beleuchtet er das enorme Ausmaß der fehlerhaften Arbeit der Justiz.

Der psychologische Gerichtsgutachter Prof. Max Steller erklärt in "Empörung – Der Skandal von Worms" anschaulich, warum vor allem die genaue Untersuchung der Kinderaussagen den Prozess am Ende um 180 Grad drehte und zum Freispruch aller 25 Angeklagten führte.

Die renommierte Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen (u.a. "Spiegel") verfolgte jeden einzelnen Prozesstag und ist bis heute bewegt von dem Schicksal der zu Unrecht angeklagten Wormser Eltern und deren Verwandten.

 

 

Interview Justizopfer Heike G.

Heike G. war unter den 25 Frauen und Männern, die in den Jahren 1994 bis 1997 des massenhaften Kindesmissbrauchs angeklagt wurden. Im Interview spricht die 53-Jährige über ihre traumatischen Erlebnisse, die schlimmen Anfeindungen gegen ihre Person und schildert die Hysterie der Medien, die sie noch heute schockiert. Heike G. zählt zu den Justizopfern der "Wormser Prozesse".

 

Wie haben Sie den Moment der Verhaftung erlebt?
"Am 11.11.1993 bin ich mit meiner kleinen Tochter, die 4 Monate alt war, zur Uniklinik zu einem Impftermin gefahren. Morgens mit dem Bus von Weinsheim nach Worms. Als ich aus dem Bus ausstieg, hat meine große Tochter mit zwei Polizisten in Zivil am Bus gestanden. Sie haben gesagt, dass ich nicht mehr weiterfahren dürfte. Es hieß, ich solle mit zur Polizei gehen, in ein bis zwei Stunden hätte sich das erledigt. Ich wollte zuerst meine Tochter mitnehmen. Es hieß, ich solle sie der Frau vom Jugendamt übergeben, falls etwas bei der Polizei wäre. Das habe ich auch gemacht - und das war der größte Fehler, den ich je gemacht habe. Ab dem Zeitpunkt war ich ein halbes Jahr in U-Haft und habe meine Kinder vier Jahre nicht mehr gesehen."

Wie haben Sie auf Ihre Verhaftung reagiert, die Sie vollkommen unerwartet getroffen haben muss? Schließlich waren Sie unschuldig.
"Verstanden haben wir schon, was da vor sich ging, aber uns ging durch den Kopf: das muss ein Fehler sein, das wird aufgeklärt. Dass das solche Ausmaße annimmt, das hat keiner geahnt, dass so viele Kinder aus der Familie gerissen werden, dass so viele Leute angeklagt werden. Ich bin schier durchgedreht. Wir haben da unten im 'Bunker' (A.d.R.: Zelle im Polizeipräsidium Worms) schon geheult, rumgeschrien, das ist wie ein Alptraum, von dem man nicht mehr aufwacht. Und der ging immer weiter, immer weiter."

Wie waren die Reaktionen auf Sie unter den Gefangenen? Haben Sie schon dort gespürt, welche Ausmaße der Hass annehmen wird, der Ihnen entgegenschlug?
"Trotz Aufschluss oben in den Gruppen musste ich mich einschließen lassen. Die Mithäftlinge sind auf mich los, mit Messern und Gabeln. Ich gehe davon aus, dass sie durch das Fernsehen und die Zeitungen alles mitbekommen haben, das hat die Runde gemacht wie ein Lauffeuer. Die Reaktionen waren Beschimpfungen: 'Mit sowas wollen wir nichts zu tun haben, die gehört gleich aufgehängt.'"

Warum, denken Sie, war gerade Ihr Prozess begleitet von einem Übermaß an Empörung, Hass und Hetze?
"Ich denke, es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn es sich nicht um dieses Thema gedreht hätte, wenn wir einen Bankraub vorgeworfen bekommen hätten. Sexueller Missbrauch an Kindern ist definitiv schlimm. Die Leute, die so etwas machen, müssen auch verurteilt werden, aber die Vorverurteilung schon, bevor der Prozess überhaupt angefangen hatte, von so vielen Leuten, das ging durch die Presse, das ging durchs Fernsehen, das war mit das Schlimmste. Die Vorverurteilung zusammen mit dem schrecklichen Vorwurf. Wenn ich durch die Stadt gelaufen bin, haben sie mich direkt angesprochen oder haben hinterhergerufen: „Da ist die Kinderfickerin.“ Da gab es einen Punkt, ab dem ich kaum noch raus bin, nur noch daheim war, fast durchgedreht wäre, da war die Grenze bei mir erreicht, da musste irgendetwas passieren. Eine Behandlung oder ich müsste weg von hier."

Welchen Aspekt der Medien haben Sie in Ihrer Situation als besonders unangenehm empfunden?
"Das Aufdringliche, das zu nah kommen. Um jeden Preis ein Foto von einem erhaschen, bloß genug Material von den Personen bekommen. Da bekomme ich heute noch Gänsehaut. Das Beengte, das Aufdringliche."

Wenn Sie heute eine Bilanz ziehen müssten, was hat dieser Prozess Sie gekostet?
"Was hat mich der Wormser Prozess gekostet? Mein Leben. Mit einem Wort - mein Leben. Mein Mann war mein Leben, meine Kinder waren mein Leben."

Wie verlief die Zeit nach dem Freispruch für Sie? War dies ein Moment der Erleichterung?
"Natürlich habe ich gedacht, jetzt wird alles wieder gut. Jetzt kommen die Kinder heim. Jetzt wird alles wieder so, wie es vorher war, vor der Verhandlung und vor der Untersuchungshaft. Leider war das ein Irrtum. Die Kinder sind schon entfremdet, die Kinder sind schon so lange aus dem familiären Haushalt gerissen, das kann man den Kindern nicht antun, die nun wieder zurückzuführen, die wieder aus einer gewohnten Umgebung herauszureißen und wieder in die Familie zu bringen. Reingekommen bin ich mit Kindern, als glückliche, verheiratete Frau, mit einer schönen Wohnung. Und rausgegangen bin ich geschieden, kinderlos, wohnungslos, krank."

Was ist heute Ihre Motivation, als Protagonistin in einer Dokumentation über die Aufarbeitung der Wormser Prozesse Ihre Geschichte zu erzählen und die schrecklichen Erlebnisse von damals erneut zu durchlaufen?
"Mein Grund, warum ich heute hier sitze, ist einzig und alleine der: Darauf habe ich schon seit Jahren gewartet, dass darüber berichtet wird. Damals sind wir ins Negative gezogen worden, all die Jahre ist gar nichts gekommen, nur die Entschuldigung vom Richter Lorenz. Es ist weder positiv geschrieben worden noch sonst irgendetwas. Ich habe darauf jahrelang gewartet, dass das endlich ans Licht kommt und dass das aufgeklärt wird, wie es wirklich war. Meine Erwartungen sind die, dass wenn ich das jetzt alles nochmal gesehen habe, dass ich besser damit umgehen kann, dass es endlich der Vergangenheit angehört."

 

Interview Richter H. E. Lorenz

In den Jahren 1994 bis 1997 kam es zu insgesamt drei Wormser Missbrauchsverfahren. Richter H. E. Lorenz wirkte als Vorsitzender in den Verfahren Worms II und III, die sich über einen Zeitraum von zwei Jahren erstreckten. Mit seiner viel zitierten Entschuldigung gegenüber den Angeklagten schaffte H. E. Lorenz einen Präzedenzfall in der deutschen Justizgeschichte: „Den Wormser Massenmissbrauch hat es nie gegeben. Bei allen Angeklagten, für die ein langer Leidensweg zu Ende gegangen ist, haben wir uns zu entschuldigen.“

Was haben die Wormser Prozesse für Ihre berufliche Laufbahn bedeutet?
"Ich habe hier in der großen Strafkammer, am Landgericht Mainz, mitgewirkt an etwa 2000 Verfahren. Die meisten vergisst man, einige wenige bleiben in Erinnerung. Und das Wormser Missbrauchsverfahren mehr als alle anderen, weil es prozessual, rechtlich, aber auch menschlich die größte Herausforderung war, die mir in meinem Berufsleben begegnet ist."

Ein Mammutprozess, an dessen Ende ein Freispruch steht. Hat diese Aufgabe auch bei Ihnen Spuren hinterlassen?
"Das war eine menschliche Herausforderung auch insofern, dass man sich irgendwann selber eingestehen musste, in die falsche Richtung galoppiert zu sein. Dass man in dem Verfahren umdenken muss und nun zu Ergebnissen kommt, die natürlich auch der Öffentlichkeit, auch den Kollegen im Hause, der Staatsanwaltschaft, der Politik, den Medien vermittelt werden müssen."

Die Presse hat einen wesentlichen Einfluss genommen auf die Beurteilung der Angeklagten. Wie haben Sie die Berichterstattung wahrgenommen?
"Die Vertreter der Presse befanden sich in zwei unterschiedlichen Lagern. Das eine Lager, das die Theorie vertreten hat, dies sei der größte Massenmissbrauch der deutschen Rechtsgeschichte und das andere Lager, das von vornherein mit einer gewissen Skepsis in das Verfahren hineingegangen ist, auch auf der Basis von Erfahrungen aus früheren Verfahren. Dass möglicherweise bei der Ermittlungsarbeit Kriterien nicht beachtet wurden, die in solchen Verfahren beachtet werden müssen. Das hat sich optisch so dargestellt, diese Lagerteilung, dass die einen in der linken Ecke in der Pressereihe saßen und die anderen in der rechten Ecke und die Kommunikation untereinander relativ gering war. So habe ich die Pressearbeit, die Medienarbeit, wahrgenommen damals. Wobei es für einen Richter, wir lesen natürlich auch, was die einen schreiben und was die anderen schreiben, dann wichtig ist, sich von allem, was in den Medien steht, zu distanzieren. Ich habe mir damals gesagt und den Kollegen auch, entscheidend ist, dass ihr morgen in den Spiegel gucken könnt. Alles andere müsst ihr ausblenden."

Es gibt zwei elementare Protagonisten im Verfahren, die vermeintliche Beweise lieferten, einen Kinderarzt sowie eine Kinderschützerin. Welche Fehler wurden in diesem Zusammenhang gemacht?
"Es gab wohl eine persönliche Verbindung zwischen dem Wormser Kinderarzt und der Kinderschützerin. Diese Kinderschützerin trat am 1. Mai 1993, wenn ich es recht erinnere, ihre Arbeit an. Der Arzt hat dann alle Kinder, bei denen er Missbrauch in Verdacht hatte, zu der Kinderschützerin geschickt. Diese hat dann in kurzer Zeit, auch im Auftrag der Staatsanwaltschaft, Aufdeckungsarbeit betrieben. Einer der elementaren Fehler in diesem Verfahren ist es gewesen, dass die Kriminalpolizei Worms, in der gut ausgebildete, erfahrene Kollegen waren, die die Vernehmungen hätten durchführen können, aus den Ermittlungen völlig herausgenommen wurden. Die Ermittlungsarbeit wurde praktisch einem Kinderschutzbund übertragen. Das war einer der elementaren Fehler im Ermittlungsverfahren. Was die ärztlichen Befunde angeht, ist zu sagen, dass sexueller Missbrauch durch ein ärztliches Attest nicht belegt, aber auch nicht widerlegt werden kann. Es kann also sehr wohl Missbrauch stattgefunden haben, ohne dass die Kinder körperliche Erscheinungen davontragen."

Können Sie erläutern, welche Fehler in der Befragung tatsächlich gemacht wurden?
"Ich habe vorhin schon angedeutet, zu den elementaren Fehlern im Ermittlungsverfahren gehörte, dass die Befragungen der Kinder dieser Kinderschützerin überlassen wurden. Diese Kinderschützerin ist keine gelernte Ermittlerin. Die Kinderschützerin weiß nicht, wie man eine Vernehmung durchführt. Die Kinderschützerin hat den Fehler gemacht, dass sie bei der Befragung der Kinder die Antwort in die Frage eingebaut hat. Ist es richtig, dass dieser dich dann und dann auf diese Weise missbraucht hat? Darauf hat ein Kind möglicherweise drei Mal die Antwort verneint und beim vierten Mal bejaht. Kinder sind suggestibel. Die richtige Fragetechnik ist, offene Fragen zu stellen. Das waren alles geschlossene Fragen, die den Kindern zugeworfen wurden. 'Was ist dann passiert? Wer war dabei? Wo ist das gewesen? Was ist da gesprochen worden?' Wenn Kinder dann, aus eigenem Erleben, Sachverhalte rekapitulieren und erzählen, dann liegen am Ende genügend Realkennzeichen vor, aus denen geschlossen werden kann, dass die Angaben der Kinder auf etwas Erlebtem beruhen. Im vorliegenden Fall, bei keinem dieser Kinder, ist spontan eine Geschichte erzählt worden, sondern alles ist in diese Kinder hineingefragt worden. Das war eines der Probleme."

Auf welche Säulen stützte sich die Anklage und wie brachen diese schließlich zusammen?
"Die Anklage baute auf zwei Säulen auf: Die medizinischen Befunde, die ärztlichen Befunde des Kinderarztes und die Befragungsergebnisse der Dame des Kinderschutzbundes. Wir haben dann im Rahmen der Hauptverhandlung festgestellt, dass ein Kinderarzt oder ein Arzt im Allgemeinen sexuellen Missbrauch in aller Regel, es sei denn es wird Sperma gefunden, nicht medizinisch-körperlich belegen kann. Damit brach die eine Säule weg. Die andere Säule brach weg, als wir dann, auch unter Hinzuziehung hochqualifizierter deutscher Sachverständiger und Glaubwürdigkeitspsychologen, feststellen mussten, dass die Befragungen der Kinder keinen Schuss Pulver wert waren. Weil sie eben technisch, handwerklich, völlig falsch gemacht waren und es kein Kind gab, das von sich aus eine auch nur halbwegs nachvollziehbare Geschichte des sexuellen Missbrauchs erzählt hat. Und dann bleibt eben von den Anklagevorwürfen nichts übrig."

Ihre Entschuldigung gegenüber den Angeklagten schlug hohe Wellen und gilt noch heute als ein Präzedenzfall der Justizgeschichte. Wie kam es dazu?
"Naja gut, da haben 25 Leute zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen. Wir haben deren Existenzen zerstört. Wir haben Familien zerstört. Die Staatsanwaltschaft, aber auch wir, das Gericht. Wir haben in der Anfangsphase Haftfortdauerbeschlüsse gemacht. Wir tragen auch einen Teil der Verantwortung. Wenn man zum Nachteil des Menschen so massiv in ihr Leben eingreift, dann bleibt einem am Ende nichts Anderes als sich zu entschuldigen, wenn es zu einem so glatten Freispruch kommt wie in diesem Verfahren. Dafür wurden wir auch kritisiert, teilweise auch von der Staatsanwaltschaft. Wir sollten unsere Arbeit machen und uns nicht entschuldigen. Aber es gehört sich einfach so."

Welche Konsequenzen haben Sie für sich persönlich aus diesen Erlebnissen gezogen bzw. ziehen müssen?
"Ich persönlich bin eigentlich einer, der das ganz gut wegstecken kann. Ich habe dann also nicht zwei Jahre nicht geschlafen oder so. Sport hat mir geholfen, mich dann immer wieder seelisch und körperlich zu stabilisieren. Was ich aus diesem Verfahren gelernt habe, ist kritischer zu sein, kritischer zu sein gegenüber Sachverständigen. Nicht alle, die bei Gericht als Sachverständiger auftreten, sind es dann auch wirklich. Zudem kritischer zu sein gegenüber der Staatsanwaltschaft, die in aller Regel eine gute Arbeit macht, aber eben auch manchmal gewaltig überzieht. Dafür gibt es auch aktuelle Beispiele. Und letztlich kritischer zu sein sich selbst gegenüber."

"Für einen Richter ist es wichtig, dass er mit der notwendigen Demut an so ein Verfahren herangeht. Ich bin immer ein bisschen vorsichtig bei Richtern, die mit gehörigem Selbstbewusstsein immer an das glauben und das für richtig halten, was sie nun gerade vertreten. Also die Möglichkeit, sich zu irren, sollte jedem Richter bewusst sein. Das sind Konsequenzen aus diesem Verfahren gewesen."

 

"Empörung – Der Skandal von Worms" ist eine Produktion von der Constantin Entertainment im Auftrag von TVNOW/VOX. Produzent ist Otto Steiner, Executive Producer Jan Vogelgesang, Producer Susanne Laermann. Die Redaktion liegt bei Sven Meyer und Julia Schmidt. Ulrich Klugius, Leitung Magazin/Doku Soap/Dokumentation VOX, verantwortet als Executive Producer.

Interview Richter H. E. Lorenz

In den Jahren 1994 bis 1997 kam es zu insgesamt drei Wormser Missbrauchsverfahren. Richter H. E. Lorenz wirkte als Vorsitzender in den Verfahren Worms II und III, die sich über einen Zeitraum von zwei Jahren erstreckten. Mit seiner viel zitierten Entschuldigung gegenüber den Angeklagten schaffte H. E. Lorenz einen Präzedenzfall in der deutschen Justizgeschichte: „Den Wormser Massenmissbrauch hat es nie gegeben. Bei allen Angeklagten, für die ein langer Leidensweg zu Ende gegangen ist, haben wir uns zu entschuldigen.“

 

Was haben die Wormser Prozesse für Ihre berufliche Laufbahn bedeutet?
"Ich habe hier in der großen Strafkammer, am Landgericht Mainz, mitgewirkt an etwa 2000 Verfahren. Die meisten vergisst man, einige wenige bleiben in Erinnerung. Und das Wormser Missbrauchsverfahren mehr als alle anderen, weil es prozessual, rechtlich, aber auch menschlich die größte Herausforderung war, die mir in meinem Berufsleben begegnet ist."

 

Ein Mammutprozess, an dessen Ende ein Freispruch steht. Hat diese Aufgabe auch bei Ihnen Spuren hinterlassen?
"Das war eine menschliche Herausforderung auch insofern, dass man sich irgendwann selber eingestehen musste, in die falsche Richtung galoppiert zu sein. Dass man in dem Verfahren umdenken muss und nun zu Ergebnissen kommt, die natürlich auch der Öffentlichkeit, auch den Kollegen im Hause, der Staatsanwaltschaft, der Politik, den Medien vermittelt werden müssen."

 

Die Presse hat einen wesentlichen Einfluss genommen auf die Beurteilung der Angeklagten. Wie haben Sie die Berichterstattung wahrgenommen?
"Die Vertreter der Presse befanden sich in zwei unterschiedlichen Lagern. Das eine Lager, das die Theorie vertreten hat, dies sei der größte Massenmissbrauch der deutschen Rechtsgeschichte und das andere Lager, das von vornherein mit einer gewissen Skepsis in das Verfahren hineingegangen ist, auch auf der Basis von Erfahrungen aus früheren Verfahren. Dass möglicherweise bei der Ermittlungsarbeit Kriterien nicht beachtet wurden, die in solchen Verfahren beachtet werden müssen. Das hat sich optisch so dargestellt, diese Lagerteilung, dass die einen in der linken Ecke in der Pressereihe saßen und die anderen in der rechten Ecke und die Kommunikation untereinander relativ gering war. So habe ich die Pressearbeit, die Medienarbeit, wahrgenommen damals. Wobei es für einen Richter, wir lesen natürlich auch, was die einen schreiben und was die anderen schreiben, dann wichtig ist, sich von allem, was in den Medien steht, zu distanzieren. Ich habe mir damals gesagt und den Kollegen auch, entscheidend ist, dass ihr morgen in den Spiegel gucken könnt. Alles andere müsst ihr ausblenden."

 

Es gibt zwei elementare Protagonisten im Verfahren, die vermeintliche Beweise lieferten, einen Kinderarzt sowie eine Kinderschützerin. Welche Fehler wurden in diesem Zusammenhang gemacht?
"Es gab wohl eine persönliche Verbindung zwischen dem Wormser Kinderarzt und der Kinderschützerin. Diese Kinderschützerin trat am 1. Mai 1993, wenn ich es recht erinnere, ihre Arbeit an. Der Arzt hat dann alle Kinder, bei denen er Missbrauch in Verdacht hatte, zu der Kinderschützerin geschickt. Diese hat dann in kurzer Zeit, auch im Auftrag der Staatsanwaltschaft, Aufdeckungsarbeit betrieben. Einer der elementaren Fehler in diesem Verfahren ist es gewesen, dass die Kriminalpolizei Worms, in der gut ausgebildete, erfahrene Kollegen waren, die die Vernehmungen hätten durchführen können, aus den Ermittlungen völlig herausgenommen wurden. Die Ermittlungsarbeit wurde praktisch einem Kinderschutzbund übertragen. Das war einer der elementaren Fehler im Ermittlungsverfahren. Was die ärztlichen Befunde angeht, ist zu sagen, dass sexueller Missbrauch durch ein ärztliches Attest nicht belegt, aber auch nicht widerlegt werden kann. Es kann also sehr wohl Missbrauch stattgefunden haben, ohne dass die Kinder körperliche Erscheinungen davontragen."

 

Können Sie erläutern, welche Fehler in der Befragung tatsächlich gemacht wurden?
"Ich habe vorhin schon angedeutet, zu den elementaren Fehlern im Ermittlungsverfahren gehörte, dass die Befragungen der Kinder dieser Kinderschützerin überlassen wurden. Diese Kinderschützerin ist keine gelernte Ermittlerin. Die Kinderschützerin weiß nicht, wie man eine Vernehmung durchführt. Die Kinderschützerin hat den Fehler gemacht, dass sie bei der Befragung der Kinder die Antwort in die Frage eingebaut hat. Ist es richtig, dass dieser dich dann und dann auf diese Weise missbraucht hat? Darauf hat ein Kind möglicherweise drei Mal die Antwort verneint und beim vierten Mal bejaht. Kinder sind suggestibel. Die richtige Fragetechnik ist, offene Fragen zu stellen. Das waren alles geschlossene Fragen, die den Kindern zugeworfen wurden. 'Was ist dann passiert? Wer war dabei? Wo ist das gewesen? Was ist da gesprochen worden?' Wenn Kinder dann, aus eigenem Erleben, Sachverhalte rekapitulieren und erzählen, dann liegen am Ende genügend Realkennzeichen vor, aus denen geschlossen werden kann, dass die Angaben der Kinder auf etwas Erlebtem beruhen. Im vorliegenden Fall, bei keinem dieser Kinder, ist spontan eine Geschichte erzählt worden, sondern alles ist in diese Kinder hineingefragt worden. Das war eines der Probleme."

Auf welche Säulen stützte sich die Anklage und wie brachen diese schließlich zusammen?
"Die Anklage baute auf zwei Säulen auf: Die medizinischen Befunde, die ärztlichen Befunde des Kinderarztes und die Befragungsergebnisse der Dame des Kinderschutzbundes. Wir haben dann im Rahmen der Hauptverhandlung festgestellt, dass ein Kinderarzt oder ein Arzt im Allgemeinen sexuellen Missbrauch in aller Regel, es sei denn es wird Sperma gefunden, nicht medizinisch-körperlich belegen kann. Damit brach die eine Säule weg. Die andere Säule brach weg, als wir dann, auch unter Hinzuziehung hochqualifizierter deutscher Sachverständiger und Glaubwürdigkeitspsychologen, feststellen mussten, dass die Befragungen der Kinder keinen Schuss Pulver wert waren. Weil sie eben technisch, handwerklich, völlig falsch gemacht waren und es kein Kind gab, das von sich aus eine auch nur halbwegs nachvollziehbare Geschichte des sexuellen Missbrauchs erzählt hat. Und dann bleibt eben von den Anklagevorwürfen nichts übrig."

 

Ihre Entschuldigung gegenüber den Angeklagten schlug hohe Wellen und gilt noch heute als ein Präzedenzfall der Justizgeschichte. Wie kam es dazu?
"Naja gut, da haben 25 Leute zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen. Wir haben deren Existenzen zerstört. Wir haben Familien zerstört. Die Staatsanwaltschaft, aber auch wir, das Gericht. Wir haben in der Anfangsphase Haftfortdauerbeschlüsse gemacht. Wir tragen auch einen Teil der Verantwortung. Wenn man zum Nachteil des Menschen so massiv in ihr Leben eingreift, dann bleibt einem am Ende nichts Anderes als sich zu entschuldigen, wenn es zu einem so glatten Freispruch kommt wie in diesem Verfahren. Dafür wurden wir auch kritisiert, teilweise auch von der Staatsanwaltschaft. Wir sollten unsere Arbeit machen und uns nicht entschuldigen. Aber es gehört sich einfach so."

 

Welche Konsequenzen haben Sie für sich persönlich aus diesen Erlebnissen gezogen bzw. ziehen müssen?
"Ich persönlich bin eigentlich einer, der das ganz gut wegstecken kann. Ich habe dann also nicht zwei Jahre nicht geschlafen oder so. Sport hat mir geholfen, mich dann immer wieder seelisch und körperlich zu stabilisieren. Was ich aus diesem Verfahren gelernt habe, ist kritischer zu sein, kritischer zu sein gegenüber Sachverständigen. Nicht alle, die bei Gericht als Sachverständiger auftreten, sind es dann auch wirklich. Zudem kritischer zu sein gegenüber der Staatsanwaltschaft, die in aller Regel eine gute Arbeit macht, aber eben auch manchmal gewaltig überzieht. Dafür gibt es auch aktuelle Beispiele. Und letztlich kritischer zu sein sich selbst gegenüber."

 

"Für einen Richter ist es wichtig, dass er mit der notwendigen Demut an so ein Verfahren herangeht. Ich bin immer ein bisschen vorsichtig bei Richtern, die mit gehörigem Selbstbewusstsein immer an das glauben und das für richtig halten, was sie nun gerade vertreten. Also die Möglichkeit, sich zu irren, sollte jedem Richter bewusst sein. Das sind Konsequenzen aus diesem Verfahren gewesen."

 

"Empörung – Der Skandal von Worms" ist eine Produktion von der Constantin Entertainment im Auftrag von TVNOW/VOX. Produzent ist Otto Steiner, Executive Producer Jan Vogelgesang, Producer Susanne Laermann. Die Redaktion liegt bei Sven Meyer und Julia Schmidt. Ulrich Klugius, Leitung Magazin/Doku Soap/Dokumentation VOX, verantwortet als Executive Producer.

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