Dr. Julia Shaw im Interview zur neuen Doku "Mörderische Frauen" auf TVNOW

True Crime meets Queer History

Dr. Julia Shaw ist ein Multitalent: In der neuen True-Crime-Doku "Mörderische Frauen" (ab 16.6. auf TVNOW) ist sie nicht nur als Moderatorin und Expertin zu sehen, sie hat sie auch mitentwickelt. Im Interview erzählt die Erinnerungsforscherin und Kriminalpsychologin, was weibliche von männlichen Mördern unterscheidet und warum sie nach ihrem Master in Queer History jetzt an einem neuen Buch zum Thema LGBT+ arbeitet.

In der neuen TVNOW True Crime-Dokumentation geht es um "Mörderische Frauen". Morden Frauen anders als Männer und was ist der größte Unterschied?

Ja, vor allem tun sie es viel, viel seltener. Männer sind bei weitem die meisten Täter – und auch Opfer – von Mord. Was mich angespornt hat, die Doku mit zu entwickeln, war, nicht zu zeigen, wie anders Frauen sind als Männer, sondern wirklich auf diese Frauen einzugehen und sie versuchen zu verstehen. Gesellschaftlich behandeln wir Täterinnen oft anders als Täter und ich glaube, wir bauen eher Mythen auf. So auch im Fall von Angelika W. aus der ersten Staffel "Töten aus Lust", bei der die Presse zwischen zwei Extremen schwankte. Sie bezeichnete Angelika entweder als hilfloses Opfer von ihrem gewalttätigen Partner Wilfried oder als Folterhexe, das Böse schlechthin. Ich hinterfrage beide dieser Extreme und gehe auf psychologische Spurensuche, um zu beleuchten, warum Menschen zu furchtbaren Grausamkeiten fähig sind. Welche unumkehrbaren Grenzen wurden hier überschritten? Dabei gilt es, eins nicht aus den Augen zu verlieren: Egal wie schrecklich die Taten sind, es stecken nicht Monster, sondern Menschen dahinter.

Was glaubst du, lässt scheinbar "freundliche Menschen von nebenan" zu Mördern werden? 

Ich glaube, wir alle sind unter bestimmten Umständen dazu fähig, anderen Grausamkeiten zuzufügen. Vor allem in Deutschland haben wir doch in der NS–Zeit gesehen, wozu unsere "freundlichen Nachbarn" von heute auf morgen in der Lage sein können. Wir haben auch gelernt, wie Ideologie, Entmenschlichung und unser Umfeld eine bedeutende Wirkung entfalten können. Das ist im Einzelfall ähnlich. Es muss nicht ein ganzes Land den ethischen Kompass verlieren, das kann man aus unterschiedlichsten Gründen auch allein. Deshalb ist es auch so wichtig, unsere menschlichen Abgründe zu kennen. Da kann True Crime helfen – wenn es richtig gemacht ist, lernen wir nicht nur etwas über spektakuläre Fälle, sondern auch über uns selbst.

Warum bleiben so viele Verbrechen dieser und ähnlicher Art oft lange unentdeckt und kommen nur durch Zufälle ans Licht?

Das scheint mir eher eine Idee aus Hollywood zu sein. Im Fiction-Bereich sehen wir oft, wie clevere Mörder davonkommen. Im echten Leben stimmt das überhaupt nicht. Serienmord in Deutschland ist wahnsinnig selten und die meisten Morde werden schnell aufgeklärt, weil jemand das Opfer vermisst. Was beim sogenannten "Horrorhaus von Höxter" auffällt ist, dass Angelika und Wilfried ihre Opfer gerade danach ausgewählt haben, dass man sie nicht vermissen würde. Die Mühe machen sich die meisten Mörder nie. Und ein Fall der "ähnlich" ist wie das Horrorhaus von Höxter? Gibt es, glaube ich, nicht. Dieser Fall ist schon sehr außergewöhnlich. Gerade das macht ihn ja so unheimlich.

Du hast gerade parallel zu den Dreharbeiten deinen Master in Queer History gemacht und ein neues Buchmanuskript beendet. Was muss man sich darunter vorstellen?

Ich bin bisexuell und interessiere mich schon lange für LGBT+ Themen. Ich fand es aber wahnsinnig schwer, mehr über Bisexualität zu erfahren – über unsere Kultur, Geschichte und auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die wichtig sind, um Bisexualität zu verstehen. Mir fehlte ein Einführungsbuch über die ganze Welt der Queer– und Bi+ Forschung. Darum entschloss ich mich, das Thema selber zu erforschen und darüber zu schreiben – eine aufregende Zeit! Und da ich fast nichts über das Thema wusste, habe ich einfach noch mal angefangen, am Goldsmiths College in London zu studieren. Mein Buch erscheint in Deutschland im Mai 2022, darauf freue ich mich schon sehr.

Wie passen diese Themen zu deiner Arbeit als Erinnerungsforscherin und Kriminalpsychologin, als die unsere Zuschauer dich vorwiegend kennen? Gibt es Gemeinsamkeiten?

Oh ja, die gibt es! Mich hat schon immer eine große Frage angetrieben: Wer bin ich? Vor allem im Hinblick auf Aspekte, die sich wie ein Tabu anfühlen: Wie viele meiner Erinnerungen sind falsch? Lauert in mir das Böse? Bin ich sexuell abnormal? Bei all diesen Fragen gibt es einen Crime-Bezug – auch im Hinblick auf "Queer History", da sehr viele Menschen auf der Welt noch heute in Ländern leben, wo homosexuelles Verhalten eine Straftat ist.

Welcher Crime–Fall der Geschichte ist für dich der interessanteste und warum?

Schwer zu sagen, denn ich stolpere jede Woche über neue faszinierende Fälle. In meinem BBC Sounds Podcast "Bad People”, den ich zusammen mit der Comedienne Sofie Hagen hoste, sprechen wir darüber – dabei fehlen weder Tiefe noch Humor. So lerne ich immer mehr dazu als Kriminalpsychologin. 

 

"Mörderische Frauen"-Produktionsfirma: 99pro media gmbh

Executive Producer: Michael Beck

Autor: Lars Kämpgen

Verantwortliche Producerin TVNOW: Caroline Hunt