Jan Josef Liefers: „Das einzige wovor ich wirklich Angst habe, ist das dort mal jemand liegt, den ich kenne“

"Obduktion – Echte Fälle mit Tsokos und Liefers“, ab 4.1.

Prof. Dr. Tsokos: „Rechtsmedizin ist wie kein anderes Fach in der Medizin ein Spiegel der Gesellschaft“

Prof. Dr. Michael Tsokos und Jan Josef Liefers im Interview:

Warum soll eine Obduktion erstmalig öffentlich im TV gezeigt werden?

Prof. Dr. Tsokos: „Ich bin immer wieder in den letzten Jahren gefragt worden: So eine Obduktion, das würde ich gerne mal sehen, kann man da mal dabei sein? Gibt es das auch öffentlich? Irgendwann kam ich zu dem Punkt, vielleicht gibt es eine Möglichkeit die interessierte Öffentlichkeit so doch einmal mitzunehmen. Wir zeigen in dieser Dokumentation nicht nur die Arbeit in der Rechtsmedizin, sondern auch, dass eine funktionierende, objektive und mit höchsten wissenschaftlichen Standards agierende Rechtsmedizin den Bürgern unseres Landes Rechtssicherheit garantiert und damit eine Basis jeder Demokratie darstellt.“

 

Jan Josef Liefers: „Für mich geht es nicht nur darum, die Arbeit eines Rechtsmediziners so zu zeigen, wie sie wirklich ist. Sondern auch um die Möglichkeit, seine Einstellung zum Sterben und zum Tod zu überprüfen. Der Tod ist immerhin das einzig sichere in unserem Leben, und doch tun wir gern so, als gäbe es ihn nicht. Was wir hier sehen, das sind die sterblichen Überreste, was von uns gefunden wird, wenn wir gegangen sind. So sieht das aus, so fühlt es sich an. Es ist gut, diesen Umgang - auch ganz physisch - zu erleben. Das nimmt dem Tod viel von seinem Schrecken – jedenfalls für mich.“

 

Warum ist es wichtig, dass Jan Josef Liefers als Beobachter und Fragender dabei ist?

Tsokos: „Für echte Obduktionen, wie sie uns hier erwarten, gibt es kein Drehbuch. Die Dokumentation begleitet meine Arbeit als Rechtsmediziner absolut authentisch. Deshalb bin ich froh, dass mit Jan Josef Liefers mit dabei ist, der das, was wir herausfinden, auch für den Zuschauer übersetzen und quasi an Stelle des Zuschauers die richtigen Fragen stellen kann.“

Liefers: „Vermutlich hat mich Michael Tsokos gefragt, weil ich so ein Hybridwesen bin. Neugierig und medizinisch stark interessiert. Ich habe genug Fragen im Kopf, um Michael zu löchern, die er normalerweise hier niemals so erklären müsste. Da bin ich ein bisschen der Fährmann zwischen Wissenschaft und Publikum.“ 

Warum sind Obduktionen bzw. die Rechtsmedizin von besonderer Bedeutung?

Liefers: „Weil die Rechtsmedizin wissenschaftlich präzise und ohne Emotionen herauszufinden versucht, was wirklich passiert ist. Es geht um die Rekonstruktion unklarer Todesfälle, der Ursache, die zum Tod geführt hat. Und die Frage: Handelt es sich um ein Verbrechen? Wissen Sie, wie viele Morde unentdeckt bleiben? Michael Tsokos und andere Rechtsmediziner, die ich inzwischen kennengelernt habe, lassen sich nicht mehr abschütteln, wenn sie an etwas dran sind. Wenn etwas auf Fremdverschulden deutet, dann wird es eng für denjenigen, der das zu verantworten hat. Man könnte es so sagen: Die Rechtsmedizin ist die Grundlage von Rechtsprechung, ja, des ganzen Rechtsstaates.“

 

Eine Obduktion ist sicherlich ein besonderes und sehr intensives Erlebnis. Haben Sie, Herr Liefers, auch ein wenig Angst vor Ihrer ersten echten Obduktion?

Liefers: „Das einzige wovor ich wirklich Angst habe, ist das dort mal jemand liegt, den ich kenne.“

Was werden Sie, Herr Tsokos, vor laufenden Kameras anders machen als sonst?

Tsokos: „Wir werden bei diesen Obduktionen nichts anders machen, als wir es sonst auch machen würden. Die Kameras sind zwar dabei, auch Jan Josef Liefers ist dabei, das schränkt uns aber weder in dem ein, was wir tun, noch machen wir irgendetwas anders. Das ist tatsächlich authentisch. So arbeiten wir in der Rechtsmedizin.

 

Gäbe es Gründe dafür, eine TV-Aufzeichnung zu unterbrechen oder gänzlich zu stoppen?

Tsokos: „In dem Moment, wo wir feststellen, dass es sich um ein Tötungsdelikt handelt oder auch nur der leiseste Verdacht besteht, müssen wir natürlich die Dreharbeiten abbrechen. Dann ist das ein Fall für die Mordkommission. Das heißt: Kameras sofort aus. Dann werden die Mordkommission und die Spurensicherung dazu geholt, es wird alles explizit dokumentiert, wir nehmen Asservate für toxikologische Untersuchungen und dann kann der Leichnam trotzdem frei gegeben werden.“

 

Hören die wahren Rechtsmediziner auch Musik während der Obduktion?

Tsokos: „Irrtümer über die Rechtsmedizin gibt es viele. Das ist zum Beispiel, dass wir klassische Musik bei der Obduktion hören, um uns selbst zu beruhigen. Das ist natürlich Quatsch. Ein Irrtum ist auch, dass wir uns Mentholpaste unter die Nase schmieren, um das überhaupt aushalten zu können. Das macht kein Mensch, weil wir unseren Geruchssinn tatsächlich brauchen. Riecht es zum Beispiel nach Ammoniak, kann das ein Hinweis auf ein Nierenversagen sein. Da ist der Geruchssinn ganz entscheidend.“

 

Inwiefern ist die Rechtsmedizin auch ein Spiegel der Gesellschaft?

Tsokos: „Rechtsmedizin ist wie kein anderes Fach in der Medizin tatsächlich ein Spiegel der Gesellschaft. Wir sehen Phänomene der Gesellschaft, wenn zum Beispiel generell etwas schiefläuft, lange vor anderen. Wir haben mitbekommen, dass SMS und WhatsApp irgendwann eine Rolle gespielt haben bei Abschiedsbriefen. Das sind alles so gesellschaftliche Wandel. Wir sehen eben auch, dass etwas schiefläuft, wenn zum Beispiel der Großteil derjenigen, die wir obduzieren, zum Zeitpunkt des Todes unter dem Einfluss von Psychopharmaka oder Alkohol standen.“

Warum werden am Ende einer Obduktion alle Organe zurück in den Körper verbracht?

Tsokos: „Es ist ganz entscheidend, dass alle Organe wieder zurück in den Körper kommen, abgesehen von Proben, die wir für toxikologische und mikroskopische Untersuchungen nehmen. Aus dem einfachen Grund: Es kann ja sein, dass ich hier etwas feststelle, womit die Familie überhaupt nicht einverstanden ist. Und die wenden sich dann an die Staatsanwaltschaft oder auch einen anderen Rechtsmediziner und sagen, dass glauben wir nicht, wir möchten noch eine Obduktion.“

 

Wie ist Ihr Fazit, Herr Tsokos, über Jan Josef Liefers als Begleiter bei diesen Obduktionen?

Tsokos: „Ich finde Jan hat sich unheimlich gut geschlagen. Er war ja nicht nur die ganze Zeit dabei, sondern mittendrin. Das ist nicht selbstverständlich, dass man das durchhält und er hat dabei immer noch die richtigen Fragen im richtigen Moment gestellt. Er war immer voll bei der Sache und das finde ich bemerkenswert.“

 

Und wie ist es Ihnen, Herr Liefers, bei dieser außergewöhnlichen Premiere ergangen?

Liefers: Michael Tsokos und ich kennen uns schon länger. Aber in seinem Team gab es für mich vier neue Bekanntschaften: Luisa und Cindy als Sektionsassistentinnen, Dr. Larissa Rösler und Dr. Lars Oesterhelweg. Die Offenheit und Freundlichkeit mir gegenüber, dass fast Alltägliche im Umgang mit mir, das hat mir sehr geholfen und beeindruckt. Für mich war es insgesamt überwältigend. Es gibt Dinge, die sind ein bisschen größer als man selbst. Das Schlimmste ist eher, dass man hinterher zu Hause ist und denkt, dieses und jenes hätte ich auch noch Fragen sollen.“