Wed Nov 13 15:56:00 CET 2019  |   "Plötzlich ein Pflegefall - Was vom Leben bleibt", Mo., 09.12., 20:15 Uhr Vom Pfleger zum Pflegefall

Den Alltag nicht mehr eigenständig bestreiten zu können und auch bei den intimsten Verrichtungen auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, erfüllt die allermeisten Menschen mit großer Sorge. Geht diese doch mit der Angst einher, auch einen Teil seiner Würde aufgeben zu müssen.

Dabei ist die Vorstellung, durch einen Unfall, eine Krankheit oder altersbedingte Gebrechlichkeit ein Pflegefall zu werden, alles andere als abstrakt. Sie ist für viele Menschen, ob jung oder alt, eine Lebenswirklichkeit und kann für jeden von uns von einem Moment auf den anderen zur Realität werden. Derzeit sind 3,4 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig (Quelle: Statista, 06.2019).

Aber was bedeutet es, pflegebedürftig zu sein? Kann man in einem Pflegeheim überhaupt glücklich sein? Fragen wie diesen widmet sich Jenke von Wilmsdorff in seinem neusten Experiment zum Thema Pflege und stellt sich darin auch seinen eigenen Ängsten vor dem Ungewissen und dem Älterwerden: „Wie gelingt es einem, Menschen in ihrer größten Bedürftigkeit aufzufangen? Und was, wenn ich am Ende derjenige bin, der Hilfe braucht? Um das herauszufinden, will ich gleich zwei Experimente wagen. Erst werde ich selbst zum Pfleger und dann werde ich eine Reise in die Zukunft machen – in meine eigene Zukunft als möglicher Pflegefall. Das wird das intimste Experiment, das ich je gemacht habe.“ 

So lernt Jenke zunächst die Ex-Stabhochspringerin Kira Grünberg kennen. Die Österreicherin ist seit einem tragischen Trainingsunfall vom Hals abwärts gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Die 26-Jährige hat keine Kontrolle mehr über Enddarm, Blase, Beine sowie über weite Teile ihrer Arme. Dass Kira mit ihren Händen heute greifen kann, erforderte hartes Training und Willenskraft – und davon hat sie eine ganze Menge! Nach kurzer Eingewöhnungszeit warten auf Jenke intensive Tage als Kiras persönlicher Pflege-Assistent. Er hilft ihr bei ihren alltäglichen Herausforderungen wie Duschen, Toilettengängen und Essen und überwindet dabei so manche Hemmschwelle.

Doch wie ist es erst, wenn man statt einem gleich mehrere Patienten betreuen muss? Dieser Frage geht Jenke in einem Seniorenpflegeheim der Sozial-Betriebe Köln nach. Hier arbeitet er im Früh-, Spät- und Nachtdienst als Pflegekraft. In Gesprächen mit Bewohnern will er einen Eindruck davon bekommen, was es nach einem langen Leben in Selbstständigkeit mit ihnen macht, plötzlich auf pflegerische Hilfe angewiesen zu sein. Von den Pflegekräften hingegen möchte er erfahren, wie sie es schaffen, ihrer Arbeit tagtäglich trotz schlechter Bezahlung, chronischer Unterbesetzung und der ständigen Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit mit so viel Engagement nachzugehen. 

Und Jenke wäre nicht Jenke, wenn er nicht auch über den Tellerrand hinausblicken würde. In Japan leben so viele über 80-Jährige wie in kaum einem anderen Land dieser Welt. Wie gehen die Japaner mit diesem demografischen Problem um? Jenke besucht dort ein Pflegeheim, das mit Robotern versucht, den Personalmangel zu kompensieren. Auch in Japan brechen die Familien auseinander und die Pflegeeinrichtungen sind überfüllt, weil es die intakte Großfamilie so kaum noch gibt. Der Staat hat daraufhin ein Programm entwickelt, um den noch selbstständigen alten Bürgern die Einsamkeit ein wenig zu erleichtern: Der Postbote wird zum interessierten Gesprächspartner. 

In seinem Hauptexperiment wird Jenke dann selbst zum Pflegefall. Eine Woche lang lebt er im St. Gereon Pflegeheim in Hückelhoven. Die Arme in Gips, die Beine fixiert ist er nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen. Er kann sich weder selbst waschen, noch alleine essen. Was macht es mit dem so lebensbegierigen Reporter, sich plötzlich den Pflegekräften gänzlich ausgeliefert zu fühlen? Während seines Aufenthalts bekommt Jenke Besuch von Günter Wallraff, der selbst in diesem Jahr durch einen schweren Fahrradunfall zwischenzeitlich lernen musste, wie es ist, pflegebedürftig zu sein und der zudem in einer Folge der Reihe „Team Wallraff“ die Missstände in deutschen Pflegeheimen dokumentierte.

Günther Wallraff: „Für dich ist es eine Simulation der Pflegebedürftigkeit – bei mir bitterer Ernst. Ich hatte einen schweren Fahrradunfall – seitdem bin ich ein Pflegefall!“

Jenke von Wilmsdorff: „Im Vorfeld hatte ich große Beklemmungen bei dem Gedanken, in meine persönliche Zukunft zu blicken und mich mit meiner Vergänglichkeit zu beschäftigen. In einem Pflegeheim nahezu bewegungsunfähig zu liegen und in jedem nur denkbaren Bereich auf die Hilfe der Pfleger angewiesen zu sein, war für mich eine enorme psychische Belastung. Nicht mehr allein zur Toilette gehen zu können, sich den Hintern abwischen zu lassen und die gesamte Körperhygiene den Pflegern anzuvertrauen, fiel mir anfangs sehr schwer. Im Laufe meines Experiments habe ich jedoch eine Erkenntnis gewonnen, die es mir persönlich ein wenig leichter macht: Wenn wir den Lauf des Lebens akzeptieren und unseren Frieden damit geschlossen haben, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, kann man das Leben trotzdem noch genießen. Das ist die wohl größte Aufgabe für uns alle, aber natürlich auch sehr stark abhängig vom persönlichen Gesundheitszustand. Wer das Glück hat, in einer guten Pflegeeinrichtung untergekommen zu sein und so herzliche und engagierte Menschen in der Pflege trifft, wie ich sie kennengelernt habe, kann ein würdevolles und sehr wohl glückliches Leben führen, auch wenn es anders als das vorherige Leben sein wird, denn das lässt sich nicht schönreden. Man muss erst lernen, es zu akzeptieren, nur so findet man Frieden im Alter. Mein größter Respekt gilt all den Menschen in Pflegeberufen, die sich liebevoll und mit Respekt um die Menschen kümmern, die sich ihnen anvertrauen. Es ist ein Beruf, der leider nicht das gesellschaftliche Ansehen genießt, das er verdient. Wer sich trotz der widrigen Arbeitszeiten, der körperlich extrem anstrengenden Tätigkeit und oft schlechten Bezahlung für diesen Beruf entscheidet, ist für mich ein wahrer Held des Alltags.“